Im SUV Urus auf Island
Mit Lamborghini auf Abwegen

Wird jemals ein Besitzer seinen 237'500 Franken teuren Lamborghini-SUV Urus über Schotterstrecken quälen? Egal, SonntagsBlick machts. Und zwar nicht irgendwo, sondern im rauen Island bei Sonne, Schnee und Regen.
Publiziert: 04.11.2018 um 06:13 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2018 um 06:15 Uhr
Lamborghini Urus auf Island
Foto: Roland Löwisch
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Roland Löwisch

Der durchschnittliche Geländewagen in Island ist etwa zweieinhalb Meter hoch, mindestens fünf Meter lang und besitzt Reifen, die pro Stück grösser sind als ein alter Fiat 500. Da ist es eigentlich ziemlich vermessen, mit einem SUV die Schönheiten Islands zu besuchen, der dank 650 PS und einem Aussehen wie ein Alien eher dazu prädestiniert ist, erhaben die Schnellstrassen der Welt unsicher zu machen. Doch meint Erbauer Lamborghini, der Urus sei durchaus offroadtauglich – deswegen haben die Italiener zur Reise auf die wildeste und schönste Insel westlich von Norwegen geladen: Island im Herbst bietet Regen, Schnee, Sonne, jede Menge Touristen aus Asien und vor allem Natur pur.

Das ist der Lambo-SUV

Dem Urus – optisch nicht nur an Aventador und Miura erinnernd, sondern auch an den «Vorgänger» LM002 (rund 300 Stück wurden zwischen 1986 und 1992 gebaut) – darf man sich allerdings nicht nähern wie einem herkömmlichen Superboliden von Lamborghini. Er ist mit 1,64 Metern wesentlich höher (wirkt aber sehr flach im Vergleich mit anderen SUVs, wobei innen kein bisschen Einbussen bei der Kopf- oder anderer Freiheiten hingenommen werden müssen) und – jawohl – völlig alltagstauglich.

Statt leicht gepolsterten Sitzschalen gibts gut geformte Sitze, der Innenraum ist überraschend normal zu entern, die Sitzposition unüblich hoch. Okay, von der Optik und Haptik ist innen alles auf Lambo gestylt: Der Starterknopf in der Mittelkonsole unter einer roten und klappbaren Abdeckung; ein unten abgeflachtes Lederlenkrad; volldigitale Anzeigen, die sich je nach Fahrmodi in Farbe und Informationsgehalt ändern; unübliche Bedienung des Automatikgetriebes und der Fahrmodi; und natürlich alles in Leder, Alcantara und (bei unserem Modell) in Karbon eingefasst.

Die Audi-Gene

Hinten hat das Auto hat einen grossen Kofferraum: Der Audi Q8 lässt grüssen. Er steckt in seiner vollen Wucht unter dem Lambo-Kleid, was man zum Beispiel an den beiden Touch-Screens im Armaturenbrett merkt oder spätestens daran, dass die Italiener beim Urus mit der Tradition brechen, die Schaltwippen fest an der Lenksäule zu verankern. Hier im SUV befinden sie sich am Lenkrad: «Ging nicht anders», bedauert der mitreisende Lambo-Chef Stefano Domenicali und zuckt mit den Achseln.

Auch beim Motor musste Lamborghini Kompromisse machen. Unter der Haube steckt kein V12 oder Zehnzylinder, sondern ein V8-Biturbo: «So ein Auto braucht Drehmoment von unten heraus», begründet Domenicali die Wahl, «und dafür ist dieser V8 perfekt.» Seine Ingenieure pressen aus der Vierliter-Maschine 650 PS und 850 Nm, womit klar ist, warum der allradgetriebene Urus in 3,6 Sekunden auf 100 km/h sprinten kann und ihm erst bei 305 km/h Spitze die Luft ausgeht.

Ab auf den Schotter

Auf Island ist das allerdings alles egal – hier sind erlaubte 90 km/h das höchste der Tempo-Gefühle. Allerdings drücken wir in einem unbeobachteten Moment dann doch mal richtig aufs Gas: Da wird der italienische Auerochse ganz schön zum Aktivisten, was nur bei einer Spezies in Island keinen Eindruck macht: den einheimischen Pferden. Jedoch gibt es eine Menge «Strassen», die nicht asphaltiert sind – hier wollen wir den jüngsten Stier der Lambo-Familie bei den Hörnern packen.

Also vom Fahrmodus über den Tamburo-Schalter «Strada» (Strasse) über «Sport» und «Corsa» (nimmt ESP-Eingriff zurück, macht mehr Sound, Motor spricht schneller an, Luftfederung lässt Fahrzeug absenken, Getriebe dreht Gänge mehr aus und so weiter) über «Sabbia» (Sand, auf dem schwarzen in Island darf man sowieso nicht rumkurven) auf «Terra». Dabei wird unter anderem die Karosserie mächtig hochgepumpt, wobei man die letzten paar Millimeter manuell übers Display anfordern muss, falls man sie braucht. Letztlich gibts noch «Neve», aber der Schneefall ist noch nicht so dicht, dass wir den Urus elektronisch völlig einschnüren müssen. Und jetzt endlich ab auf den Schotter.

Die Geländetour

Gleichmal vorneweg: Ja, es geht, aber es tut mächtig weh – 237'500 Franken in böse Schlaglöcher fallen lassen zu müssen oder über fiese spitze Steine zu pilotieren. Im Hinterkopf sind immer 4000 bis 6000 Franken pro Rad, je nach Grösse und Bereifung. Wir haben hinten gigantische 315/40er auf 21-Zöllern, vorne sind sie immerhin noch 285/45ZR21 gross. Die Pirellis sind extra für den Urus entwickelt, und eigentlich mehr für die rasante Asphaltfahrt als für Klettertouren rund um den Gletschersee Jokulsarlon.

So schleicht unser Tross von sieben Urus langsamer als normale Geländewagen (und viel langsamer als die gigantischen Big-Foot-Vans und -Trucks, welche die Isländer privat und gewerblich für den Tourismus einsetzen und zwischen denen ein Urus aussieht wie ein zerbrechliches Kunstwerk inmitten von gestrandenen Trollen) zu märchenhaften Plätzen wie der Höhle Hjorleifshofoi am tiefschwarzen Strand, dem Aussichtspunkt Dyrholaey, und durch das riesige Lavafeld Eldhraun. Die vielen Touristen – der Herbst ist Asien-Zeit – bekommen ganz runde Augen bei dem seltenen Anblick. Nur ein Isländer kann es sich nicht verkneifen, die bösen Worte zu sagen: «Nice Audi».

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