Wenn die Russen verlieren
Warum Polen besonders auf Putins Niederlage hofft

Während die Ukraine die russischen Truppen zurückdrängt, hofft Polen auf einen Sieg gegen Putin. Das Machtverhältnis könnte sich grundlegend ändern.
Publiziert: 23.11.2022 um 20:07 Uhr
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Es sieht derzeit nicht gut aus für die Russen. Die Ukraine drängen Putins Truppen zurück. Statt zu erobern, müssen die Soldaten nun verteidigen. Gleichzeitig schauen vor allem osteuropäische und baltische Staaten in die Ukraine und hoffen auf einen Sieg über die Russen – besonders Polen. Eine Niederlage Russlands könnte das Kräfteverhältnis nachhaltig verändern.

Polen würde mit einer russischen Niederlage seinen grössten Feind praktisch loswerden – auch innerhalb der EU könnte sich so einiges zum Vorteil des Landes wenden. Ein Erfolg der Ukraine würde auch eine historische Chance für die Region bedeuten, den Status der Peripherie zu verlassen und ein Gegengewicht zu den grossen westlichen EU-Mitgliedstaaten zu bilden.

Für Kai-Olaf Lang (55), Wissenschaftler bei der Forschungsgruppe «EU/Europa» der Stiftung Wissenschaft und Politik, spielt hier auch der EU-Beitritt der Ukraine eine grosse Rolle, wie er im Gespräch mit Blick erläutert. «Wenn die Ukraine irgendwann einmal der EU beitreten würde, dann würde das Gravitationszentrum der EU weiter nach Osten rücken. Polen und das jetzige Ostmitteleuropa würden aus ihrer Randlage herauskommen.

Was passiert, wenn die Ukraine den Krieg gewinnt?
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
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Machtverschiebung nach Osten durchaus möglich

Ein Unterfangen, das vor allem eine Voraussetzung braucht: wirtschaftliche Stärke. Laut Guido Cozzi (58), Professor für Makroökonomie an der Universität St. Gallen, sei diese Bedingung bereits erfüllt. «Polen ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewachsen», sagt er zu Blick. Die grosszügige polnische Unterstützung der Ukraine sei ebenfalls eine treibende Kraft.

«Die Festigung der Brüderlichkeit mit der Ukraine wird Polen ein synergetisches Wachstum mit der Nachkriegserholung dieses Landes ermöglichen. Während Polen in der Vergangenheit der ärmere Partner des siegreichen Deutschlands war, erscheint es in seiner Beziehung zur Ukraine als ein führendes und vorbildliches Land.»

Eine Verschiebung des EU-Machtzentrums nach Osten sei laut Cozzi durchaus möglich. Polen könne noch sehr gut expandieren und auch die Ukraine werde wohl Zugang zu einem massiven Strom kostenloser Gelder haben, die die EU für den Wiederaufbau aller ihrer Gebäude versprochen hat. Wenn der Wiederaufbau gelinge, könnte der Einfluss des östlichen Teils der EU auf ein Niveau steigen, das mit Portugal, Italien, Griechenland und Spanien vergleichbar sei.

Mehr Macht für Polen heisst mehr Macht für USA

Das klingt zwar gut, doch Lang hat auch Bedenken. «Viele Mitgliedstaaten sind erweiterungsskeptisch und fordern innere Strukturreformen der EU vor künftigen Beitritten.» Einzig Polen sei immer für einen EU-Beitritt der Ukraine eingestanden. Auch, weil man sich dadurch erhoffte, strategische Tiefe gegenüber Russland zu erhalten. «Andererseits gehört Polen zu den Ländern, die eben gerade keine EU-Reformen in Richtung auf zusätzliche Mehrheitsentscheidungen oder ‹Vertiefung› der europäischen Integration möchten.»

Sollten die osteuropäischen Länder mächtiger werden, dürften sich besonders die USA darüber freuen. «Polen ist unser wichtigster Partner in Kontinentaleuropa geworden», sagte ein hochrangiger Beamter der US-Armee in Europa und verwies auf die entscheidende Rolle, die Polen bei der Unterstützung der Ukraine und bei der Verstärkung der Nato-Verteidigung im Baltikum gespielt hat, wie «Politico» jüngst berichtet.

Dass Polen von den USA so geschätzt wird, kommt nicht von ungefähr. Denn die Interessen zahlreicher Länder aus Ostmitteleuropa überlappen sich mit denen der USA, so Lang. «Der Krieg hat den Beziehungen Polens und anderen Staaten der Region zu den USA einen neuen Impuls verliehen. Denn die USA sind mit ihrem militärischen Potenzial aus Sicht dieser Länder der letztlich einzige effektive Garant ihrer Sicherheit.»

Und das wird auch noch weiter so bleiben: «Wir sehen gegenwärtig, dass das Engagement der USA für die Sicherheit Europas nach wie vor unabdingbar ist. Die europäischen Staaten und die EU kommen bei der Verbesserung ihrer sicherheitspolitischen und militärischen Fähigkeiten nur schleppend voran.»

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