Weil Trump droht, die Nato hängen zu lassen
So weit sind Europas Atombomben-Pläne

Die europäischen Staaten wollen sich vorbereiten, um ohne US-Hilfe eine russische Aggression abwehren zu können. Zentrales Thema: eine eigene Atombombe. Wie das geht? Wir erklären es.
Publiziert: 15.02.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2024 um 09:23 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Donald Trump (77), der am 5. November gute Chancen hat, wieder zum US-Präsidenten gewählt zu werden, entwickelt sich für Europa immer mehr zum Schreckgespenst. Vor allem eine Aussage traf die europäischen Regierungen wie ein Hammer: Trump drohte, im Falle eines russischen Angriffes auf europäische Staaten, keine Hilfe zu leisten. Mehr noch: Er würde die Russen «sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen».

In Europa wird seither hektisch darüber nachgedacht, wie man die eigene Verteidigung ausbauen muss. Dabei fallen Tabus: Sogar über eine europäische Atombombe wird laut nachgedacht – und das von namhaften Politikern!

Politiker aller Farben fordern ein gemeinsames nukleares Projekt. Der deutsche CSU-Vizechef Manfred Weber (51), der im Europaparlament mit der Europäischen Volkspartei die grösste Fraktion anführt, sagt zur «Bild»-Zeitung: «Europa muss militärisch so stark werden, dass sich keiner mit uns messen will. Dies bedeutet, wir brauchen Abschreckung. Zur Abschreckung gehören Nuklearwaffen.»

Die Russen verfügen über das grösste Atomwaffen-Arsenal der Welt.
In den 1970er-Jahren testete Frankreich Atombomben auf dem Mururoa-Atoll.
Foto: Keystone
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Auch linke Politiker stossen ins gleiche Horn. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley (55), brachte vor wenigen Tagen im «Tagesspiegel» ebenfalls das Thema einer eigenen Atombombe auf den Tisch. Schon im Dezember 2023 hatte der grüne ehemalige Aussenminister Joschka Fischer (75) Putin der «nuklearen Erpressung» bezichtigt und die Forderung formuliert: «Die EU braucht eine eigene atomare Abschreckung.»

In Europa verfügen nur zwei Länder über nukleare Sprengköpfe, nämlich Frankreich über 290 und Grossbritannien über 225. Russlands Nukleararsenal ist aber rund zwölfmal grösser als jenes der beiden europäischen Atommächte zusammen. 

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Die USA lagern laut der Deutschen Bundeszentrale für politische Bildung 150 bis 200 atomare Bomben in Europa. Die Nuklearwaffen für die Nato sind auf sechs Luftwaffenstützpunkten in Kleine Brogel (Belgien), Büchel (Deutschland), Aviano und Ghedi Torre (Italien), Volkel (Niederlande) und Incirlik (Türkei) stationiert. Sie lagern gesichert in unterirdischen Magazinen, sogenannten Weapons Storage Vaults, die Feuer und einem Angriff standhalten sollten. 

Zu schwach gegen Russland

Liviu Horovitz (40), Nato- und Nuklearexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erachtet diese Arsenale für eine glaubwürdige Abschreckung als nicht ausreichend. «Die Sprengköpfe genügen den Franzosen und Briten, um ihre eigenen Länder zu schützen. Wenn es aber um den Schutz von weiteren Ländern geht, ist die Anzahl und Zusammensetzung im Vergleich zu Russland zu wenig.»

Bei einer glaubwürdigen, erweiterten Abschreckung müsse man nicht von vernichtenden Angriffen auf Ballungszentren ausgehen, die gleichgelagerte Gegenschläge zur Folge hätten. Vielmehr gehe es darum, mit vielen und unterschiedlichen Atomwaffen strategische Ziele des Gegners auszuschalten. 

Horovitz glaubt nicht, dass Europa eine «eigene Bombe» braucht. Horovitz: «Rein technisch ist es vorstellbar, dass Frankreich die Rolle der USA übernehmen könnte, auch wenn dies sehr kostspielig und langwierig wäre.» 

Auch für den deutschen Finanzminister Christian Lindner (45) ist es naheliegend, dass die beiden europäischen Atommächte tonangebend sein müssten. In einem Gastbeitrag in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schreibt der FDP-Politiker, dass die strategischen Nuklearmächte Frankreich und Grossbritannien schon heute einen Beitrag an die Nato leisten würden. 

Er weist auch darauf hin, dass der französische Präsident Emmanuel Macron (46) verschiedentlich Kooperationsangebote vorgetragen habe. Lindner: «Die jüngsten Äusserungen von Donald Trump sollten wir als Aufforderung verstehen, dieses Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der Nato weiterzudenken.»

Europa muss sich umbauen

Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Atombombe sind die europäischen Staaten also noch weit entfernt. Viel schwieriger als die Entwicklung eines gemeinsamen Produkts sind laut Horovitz die politischen Fragen, etwa jene, wie sich die europäische Ordnung verändern würde. 

Europa müsste sich wohl zusammenraufen, zentralisierte Strukturen und eine gemeinsame nukleare Abschreckung aufbauen, meint er. Horovitz: «Eine glaubwürdige gesamteuropäische nukleare Abschreckung erfordert wahrscheinlich nicht nur ein gemeinsames Verteidigungsbündnis, sondern vielmehr die Schaffung der ‹Vereinigten Staaten von Europa›.»

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