Wegen Terrorpropaganda
«Welt»-Journalist Deniz Yücel in Türkei verurteilt

Knapp zweieinhalb Jahre nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in der Türkei ist der «Welt»-Journalist Deniz Yücel in Istanbul wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verurteilt worden.
Publiziert: 17.07.2020 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2021 um 09:30 Uhr

Er erhalte eine Strafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen, entschied das Gericht am Donnerstag in Istanbul. Vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen wurde Yücel freigesprochen, wie aus dem Gerichtsprotokoll hervorgeht. Demnach wurden auch neue Strafanzeigen gegen Yücel gestellt.

Die Entscheidung stiess auf scharfe Kritik. Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) sagte, sie sende das «absolut falsche Signal» und trage nicht dazu bei, Vertrauen in die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Türkei aufzubauen. Yücel, der inzwischen in Deutschland lebt und nicht an der Verhandlung teilnahm, schrieb in der «Welt», es handele sich um ein «politisches Urteil.»

Yücels Rechte wurden verletzt

Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, dies zeige erneut, wie «erbärmlich» es um die türkische Justiz bestellt sei. Das Gericht habe sich über das Urteil des Verfassungsgerichts hinweggesetzt. Das hatte im vergangenen Jahr Yücels einjährige Untersuchungshaft unter anderem mit Verweis auf die Pressefreiheit für rechtswidrig erklärt. Yücels Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit seien verletzt worden.

Der «Welt»-Reporter Deniz Yücel wurde in der Türkei wegen Terrorpropaganda zu einer Haftstrafe verurteilt.
Foto: keystone-sda.ch

Monate in Einzelhaft

Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert. Monatelang sass er in Einzelhaft. Erst nach langem politischen Tauziehen kam Yücel frei und durfte ausreisen. Gleichzeitig wurde Anklage wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung erhoben.

Artikel sorgt für Ärger

Hintergrund der Anschuldigen gegen Yücel waren unter anderem Artikel, die der 46-Jährige in seiner Zeit als Türkei-Korrespondent in der «Welt» veröffentlicht hatte. Darunter ist etwa ein Interview mit dem Kommandeur der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Cemil Bayik.

Sichtlich verärgert war Yücels Anwalt Veysel Ok darüber, dass mit dem Urteil gegen seinen Mandanten neue Strafanzeigen wegen Beleidigung des Präsidenten und des türkischen Staates gestellt wurden. Die Vorwürfe beziehen sich dem Gerichtsprotokoll zufolge unter anderem auf einen Artikel Yücels mit der Überschrift «Putschist» aus dem Jahr 2016 und auf die schriftlich eingereichte Verteidigungsrede Yücels. Der Journalist nannte das «skandalös». Damit werde die «unantastbare Verteidigung eines Angeklagten vor Gericht kriminalisiert», sagte er der dpa.

Yücel tat nur seine Arbeit

«Deniz Yücel ist unschuldig und hat nur seine Arbeit als Journalist gemacht», erklärte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, zum Urteil. Es zeige, wie «politisiert und willkürlich» die türkische Justiz sei. Die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir werteten die Entscheidung als «Urteil gegen Pressefreiheit und Menschenrechte in der Türkei.»

Der CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen sagte der «Welt» zum Urteil: «Die Türkei wendet sich von den gemeinsamen demokratischen Werten ab.» Sigmar Gabriel (SPD), der während Yücels Inhaftierung in der Türkei Aussenminister war und in dem Fall vermittelte, schrieb auf Twitter: «Heute bin ich doppelt froh, dass wir Deniz Yücel damals aus der türkischen Haft heraus und zurück nach Deutschland bringen konnten. Danke allen, die damals mitgeholfen haben.»

Yücel war im Frühjahr 2015 als Korrespondent für die «Welt» in die Türkei gegangen. Wegen seiner kritischen Artikel geriet er schnell in das Visier der türkischen Justiz. Als er Ende 2016 erfuhr, dass er auf einer Fahndungsliste stand, tauchte er zunächst unter. Im Februar 2017 stellte er sich und wurde verhaftet.

Misshandlung während Haftzeit

Wie erst im Mai vergangenen Jahres bekannt wurde, war Yücel in seiner Haftzeit misshandelt worden. In einer Aussage vor dem Amtsgericht Berlin zu seinem Prozess berichtete Yücel von Schlägen, Tritten, Erniedrigungen und Drohungen durch Vollzugsbeamte. Yücel machte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich dafür verantwortlich. Erdogan hatte Yücel während seiner Haftzeit beschimpft und ihn unter anderem als «Agentterrorist» bezeichnet. So nannte der Journalist auch sein Buch, in dem er die Haft verarbeitet.

Weitere Deutsche in Haft

Maas erinnerte auch daran, dass noch zahlreiche deutsche Staatsangehörige in der Türkei inhaftiert seien. «Dabei sind in mehreren Fällen mindestens die Strafvorwürfe nicht klar nachvollziehbar», erklärte er. Solange diese Fälle nicht gelöst seien, «steht das entgegen einer Normalisierung des Verhältnisses der Türkei gegenüber uns wie auch der Europäischen Union insgesamt.»

Im Jahr 2017 hatte eine ganze Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürger aus «politischen Gründen» zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Nach Angaben der Bundesregierung befinden sich zurzeit 62 deutsche Staatsangehörige in türkischer Haft. Aus «politischen Gründen» inhaftierte Deutsche werden nicht mehr gesondert aufgeführt. Zudem sind der Bundesregierung 65 Fälle von Deutschen bekannt, die aufgrund von Ausreisesperren die Türkei nicht verlassen können.

Weiterer Prozess wegen Terrorvorwürfen

Am Donnerstag wurde auch das Verfahren gegen den wegen Terrorvorwürfen angeklagten Türkei-Deutschen Enver Altayli in Ankara fortgesetzt. Anträge auf Freilassung des 75-Jährigen und weiterer Angeklagter in dem Verfahren seien abgelehnt worden, sagte seine Tochter Dilara Yilmaz der dpa. Der Prozess soll Yilmaz zufolge am 30. September fortgesetzt werden.

Folter-Vorwürfe gegen Erdogan

Deniz Yücel (46), Korrespondent der «Welt», erhebt schwere Vorwürfe gegen das Wachpersonal des türkischen Hochsicherheitsgefängnisses Silivri Nr. 9 bei Istanbul. Er sei während der ein Jahr dauernden Haft über drei Tage systematisch geschlagen, bedroht und entwürdigt worden. Yücel geht davon aus, dass Präsident Erdogan zumindest die politische Verantwortung für die Folter trägt. Die Angriffe ereigneten sich Anfang März 2017, unmittelbar nachdem Erdogan Yücel als Terroristen und deutschen Agenten bezeichnet hatte. Yücel war unter dem Vorwurf der Terrorpropaganda und der Volksverhetzung verhaftet worden. Seit Februar 2018 ist er frei und lebt wieder in Deutschland. Das Verfahren läuft aber immer noch.

Deniz Yücel (46), Korrespondent der «Welt», erhebt schwere Vorwürfe gegen das Wachpersonal des türkischen Hochsicherheitsgefängnisses Silivri Nr. 9 bei Istanbul. Er sei während der ein Jahr dauernden Haft über drei Tage systematisch geschlagen, bedroht und entwürdigt worden. Yücel geht davon aus, dass Präsident Erdogan zumindest die politische Verantwortung für die Folter trägt. Die Angriffe ereigneten sich Anfang März 2017, unmittelbar nachdem Erdogan Yücel als Terroristen und deutschen Agenten bezeichnet hatte. Yücel war unter dem Vorwurf der Terrorpropaganda und der Volksverhetzung verhaftet worden. Seit Februar 2018 ist er frei und lebt wieder in Deutschland. Das Verfahren läuft aber immer noch.

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