Chinesen feiern Tod von Shinzo Abe
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Video kursiert auf Twitter:Hier feiern Chinesen den Tod von Shinzo Abe

War in nationalistischen Kreisen verhasst
Chinesen feiern Tod von Japan-Premier Abe (†67)

Shinzo Abes (†67) Tod hat überall auf der Welt tiefe Trauer ausgelöst – nur nicht in China. In nationalistischen Kreisen wurde der Tod des ehemaligen japanischen Regierungschefs geradezu euphorisch aufgenommen. Doch warum eigentlich?
Publiziert: 10.07.2022 um 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 11.07.2022 um 07:46 Uhr

Am Freitag ist auf den früheren japanischen Premierminister Shinzo Abe (†67) ein Attentat auf offener Strasse verübt worden. Wenige Stunden später wurde Abe dann offiziell für tot erklärt. Aus der ganzen Welt trudelten innert kürzester Zeit Beileidsbekundungen von Staats- und Regierungschefs ein, die dem am längsten amtierenden japanischen Ministerpräsidenten kondolierten. Auch der chinesische Präsident Xi Jinping (69) verschickte ein Beileidsschreiben.

Ein Teil der chinesischen Bevölkerung allerdings feiert den Tod des ehemaligen japanischen Premiers. Wie die «South China Morning Post» berichtet, wurde die Ermordung Abes in nationalistischen Kreisen mit Freude aufgenommen. In den sozialen Medien kursieren gerade Videos von ausgelassenen Feiern, bei denen Abes Tod gefeiert wird.

Gründe reichen weit in die Vergangenheit zurück

«Wenn wir unsere Freude zum Ausdruck bringen, könnten die Ausländer sagen, wir seien rücksichtslos und hätten keinen humanitären Geist. Aber wir sollten tun, was wir wollen», schreibt ein Kommentator auf Weibo, dem chinesischen Pendent zu Twitter.

Am Freitag starb der frühere japanische Ministerpräsident Shinzo Abe (†67) bei einem Attentat.
Foto: EPA
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Die Gründe für die ausgelassene Freude reichen teilweise weit in die Vergangenheit zurück. Denn die beiden Länder verbindet eine Geschichte wechselhafter Beziehungen. Lange Zeit sah sich das chinesische Kaiserreich als führende Macht über die bekannte Welt. Auf Japan wurde damals nur spöttisch herabgeblickt.

Doch das änderte sich mit der Industrialisierung und der Ausbreitung der europäischen Kolonialreiche im 19. Jahrhundert. Das einst belächelte Japan war durch eine massive Mobilisierung und Modernisierung seiner Streitkräfte plötzlich zu einer ernsthaften Bedrohung für China geworden. Im Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg von 1894-1895 erlitt das überrumpelte China eine vernichtende Niederlage.

Spielte Menschenrechtsverletzungen herunter

1937 kam es dann zum zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg, der zum Auftakt des Zweiten Weltkriegs im Pazifik werden sollte. Bereits nach wenigen Tagen gelangen den japanischen Streitkräften wichtige Geländegewinne. Sie rechneten mit einem schnellen Sieg. Doch ähnlich wie Russland heute im Ukraine-Krieg unterschätzten die Japaner den Widerstand des chinesischen Volkes. Schliesslich verlor Japan 1945 den Krieg, auch weil später die USA und die Sowjetunion gegen die japanische Armee in den Krieg zogen.

Um den Kampfwillen des chinesischen Volkes zu brechen, verübte die japanische Armee während des Krieges grausame Verbrechen an den chinesischen Soldaten und der Zivilbevölkerung. Diese wurden bei lebendigem Leibe vergraben, enthauptet oder anderweitig geschändet. Während man in chinesische Quellen von mehr als 200'000 Opfern ausgeht, spricht man auf japanischer Seite von einigen Zehntausend.

Auch Shinzo Abe gehörte zu jenen, die die Kriegsverbrechen herunterspielten. Er stellte öffentlich die Tokioter Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Frage, was ihn in China sehr unpopulär machte.

Politische Kommentatoren warnen vor Nationalismus

«Tut mir leid, wir normalen Chinesen empfinden kein Mitgefühl für Abe», schreibt ein weiterer Kommentator auf Weibo. «Als japanischer Politiker, der China feindlich gesinnt war und von einem anderen Japaner getötet wurde, sollte die Reaktion eines normalen Chinesen darin bestehen, sich zu freuen».

Obwohl Abe sich während seiner Zeit als Regierungschef um gute Beziehungen zu China bemühte, blieb das Verhältnis angespannt. Besonders seit 2012, als Japan eine Inselgruppe annektiert hatte, auf die eigentlich China Anspruch erhebte, sind anti-japanische Gefühle in den sozialen Medien wieder weit verbreitet.

Solche Äusserungen kommen aber nicht überall in China gut an. Politische Kommentatoren warnen nämlich immer mehr vor einem allzu radikalen Nationalismus. Dieser habe Chinas Image auf der Weltbühne beschädigt und könnte Pekings Bemühungen um bessere Beziehungen zu anderen Ländern erschweren. (ced)


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