Verfehlte Covid-Strategie und eine verhängnisvolle Nähe zu Putin
Xi stösst erstmals auf Widerstand

Shanghai ist abgeriegelt, in Peking bahnt sich ein ähnliches Szenario an. Chinas Corona-Politik wird nicht nur für die Weltwirtschaft, sondern auch für Xi Jinping zunehmend zum Problem. Auch der Krieg in der Ukraine sorgt für Zündstoff.
Publiziert: 15.05.2022 um 12:18 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2022 um 15:17 Uhr
Alexander Görlach*

Im Herbst tritt die Kommunistische Partei Chinas zum 20. Parteitag zusammen, vor allem, um ihren Generalsekretär Xi Jinping (68) zum dritten Mal zum Präsidenten der Volksrepublik auszurufen. Doch Xi ist in Schwierigkeiten. Das Unterfangen, China für weitere fünf Jahre vorzustehen, ist riskant. Die Regeln erlauben nur zwei Amtszeiten, maximal zehn Jahre. Zuletzt hat Mao das Land länger regiert – der Mann, unter dem mindestens 45 Millionen Menschen starben. Xi Jinping liebt Mao. Er liess sich neben ihm als Lehrer der Nation verewigen und seine Politik als Leitlinie in die Verfassung des Landes schreiben.

Xi hat die vergangenen zehn Jahre genutzt, um das Land gleichzuschalten. Heute ist es eine Diktatur, in der die Regierung alles kontrolliert, vom Haarschnitt bis hin zur Zeit, die junge Menschen vor dem Computer verbringen. Den Menschen hat Xi als Gegenleistung dafür ein Leben in Sicherheit und steigenden Wohlstand versprochen. Doch so langsam dämmert es den Menschen und auch einigen Funktionären in der Partei, dass Xi das Land auf einen unglücklichen Kurs gelenkt hat. Die Covid-Pandemie gerät ausser Kontrolle. Das Land ist im Lockdown, die Wirtschaft lahmt, und der wichtige Hafen von Shanghai funktioniert nicht mehr richtig, weil Xi die Menschen zu Hause einsperren lässt.

Grosi (95) legt sich in Shanghai mit Beamten an
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Alexander Görlach ist Honorarprofessor für Ethik und Demokratie-Experte. Er lebte unter anderem in Taiwan und Hongkong.
Foto: Hong Kiu Cheng
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Präsident Xis Fassade bröckelt erstmals

Ein Lockdown macht nur dann Sinn, wenn er einem Zeit verschafft, um die Menschen zu impfen. Da Xi aber westliche Impfstoffe, die gegen die Omikron-Variante des Coronavirus helfen, aus ideologischen Gründen ablehnt, die chinesischen Impfstoffe ihrerseits nicht wirken, hat die Führung kein Rezept, wie sie der Pandemie Herr werden soll. Zugleich sehen die Menschen, welche Macht Peking über sie hat: Abermillionen sind eingesperrt, haben nicht genug zu essen, keine Medikamente. Wer sich auf die Strasse traut, wird von Schlägertrupps der Regierung verprügelt. Ob aus dem Unmut der Menschen eine Revolte erwächst, darüber lässt sich aufgrund der Allmacht des chinesischen Überwachungsstaates nur spekulieren. Mit Sicherheit aber kann man sagen, dass die Menschen die kollektive Erfahrung von Unrecht nicht so einfach vergessen werden. Und die Wirtschaft leidet massiv, weshalb Xi im Herbst keine grossartigen Wachstumszahlen wird präsentieren kann.

Schliesslich ist da Xi Jinpings Patronage für Russland. Noch im Februar hat er mit Diktator Putin in Peking ein Communiqué verabschiedet, worin sie ihre Freundschaft preisen und allerlei Kooperationen verabreden. Ziel ist eine Phalanx gegen die demokratische Welt unter der Führung der USA. Dann kam die Invasion der Ukraine, und China stellte sich an die Seite Putins. Trotz Kriegsverbrechen und Völkerrechtsbruch verharrt Peking dort. Xis Kritiker finden das verheerend. So durften angesehene Professoren im Ausland Artikel veröffentlichen, in denen eine Kritik an der Linie Xis erkennbar ist. Das soll ein deutliches Zeichen senden: Nicht jeder teilt die Meinung des Machthabers. Bis vor kurzem wäre es unvorstellbar gewesen, dass von der Regierungslinie abweichende Stimmen, im Ausland gar, publiziert würden.

Die Kriegs-Propaganda funktioniert mehrheitlich

In einer repräsentativen Online-Umfrage wurden die Chinesinnen und Chinesen jüngst selbst befragt, was sie von der Positionierung ihres Landes an der Seite Russlands halten. Eine überwältigende Mehrheit von rund 75 Prozent findet den gegenwärtigen Kurs Pekings gut. Viele glauben zudem der Propaganda der Regierungsstellen, wonach in der Ukraine vor allem gegen die USA als Widersacher Chinas gekämpft würde. Erschreckend viele Menschen bejahen weiter, davon gehört zu haben, dass die russische Armee Bio-Labore der Amerikaner in der Ukraine aufgespürt haben will. Das schliesst für Peking den Propaganda-Kreis, wonach die Corona-Pandemie aus einem US-Labor komme.

In Tat und Wahrheit nahm die Pandemie auf einem Markt im chinesischen Wuhan ihren Anfang. Schon damals haben die Behörden alles getan, um Aufklärung und Hilfe zu verhindern. Li Wenliang, ein Arzt aus Wuhan, der mit Kolleginnen über den neuen Virus sprach, wurde deshalb von der Polizei verhört und gemassregelt. Er solle keine Unruhe stiften. Er starb wenig später selbst an Covid, bei der Erfüllung seiner ärztlichen Pflicht, und ist seitdem eine Art Heiliger. Sein Tod hatte die Massen im Internet gegen Peking aufgebracht. Wenig später wurden die Protestnoten von den Zensurbehörden gelöscht. Bis heute setzt Peking seine Linie fort und verweigert die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Vereinten Nationen, die die Ursache der Pandemie untersuchen wollen, um neue Pandemien auf der Welt zu erkennen, bevor sie ausser Kontrolle geraten.

Chinesen fordern Vermittlerrolle im Krieg

In besagter Umfrage sagte eine Mehrheit, ihre Regierung solle sich als Vermittlerin in dem Krieg gegen die Ukraine betätigen. In diesem Punkt widersprechen die Menschen ihrer Regierung, die es bis dato ablehnt, eine Vermittlerrolle einzunehmen. Hintergrund ist, dass China selbst eine Invasion plant: die des benachbarten demokratischen Inselstaats Taiwan. Hier unterstützt die russische sogar die chinesische Armee bei ihrer Modernisierung, die im Jahr 2027 abgeschlossen sein soll. Dann soll die «Volksbefreiungsarmee» in der Lage sein, einen Häuserkampf und Guerillakrieg auf Taiwan zu gewinnen.

Xis Kritiker verweisen auf die Sanktionen gegen Russland, die jederzeit China treffen könnten, sollte das Land aktiv in den Krieg gegen die Ukraine eingreifen oder, in einer nahen Zukunft, selbst zum Aggressor werden und ein benachbartes Land angreifen. Es ist zu erwarten, dass es Xi nicht auf einen Showdown im Herbst ankommen lassen, sondern vorher alle möglichen Massnahmen, auch drastische, anwenden wird, um Kritik an ihm im Keim zu ersticken. Eine dritte Amtszeit bedeutet für ihn nichts anderes, als bis zu seinem Lebensende, wie Mao, unumschränkt regieren zu können. Für China und die Welt wären das keine guten Nachrichten.

* Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Sein neues Buch «Alarmstufe Rot: Warum Pekings aggressive Aussenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt» (Hoffmann & Campe) ist soeben erschienen.

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