«Er benahm sich wie ein Zombie»
Britisches Paar mit Nowitschok vergiftet

Die lebensbedrohliche Vergiftung von Dawn Sturgess (44) und Charles Rowley (45) in Südengland vier Monate nach dem Anschlag auf Sergej Skripal löst neue Ängste bei den Menschen in der Region aus.
Publiziert: 05.07.2018 um 07:07 Uhr
|
Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:17 Uhr

In Südengland geht erneut die Angst um. Nach dem russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter, sind nun zwei andere Personen in Kontakt mit dem Nervengift Nowitschok gekommen. «Wir dürfen den Effekt nicht unterschätzen, der von der schockierenden Nachricht eines zweiten solch schweren Vorfalls binnen derart kurzer Zeit ausgeht», warnte der Polizeichef der Grafschaft Wiltshire, Kier Pritchard, in der Nacht zum Donnerstag.

Die Ermittler prüfen einem Bericht zufolge, ob das im Fall Skripal verwendete Behältnis für das Nervengift ungewollt auch die nun erkrankten Briten in Lebensgefahr gebracht haben könnte.

Verdacht auf Kreuzkontamination

Am späten Mittwochabend hatte Scotland Yard mitgeteilt, dass zwei am Wochenende in Südengland kollabierte Briten ebenfalls durch Nowitschok vergiftet worden waren. Das in Lebensgefahr schwebende Paar liegt in derselben Klinik der Stadt Salisbury, in der schon der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal (67) und seine Tochter Julia (33) behandelt wurden.

Statt der Theorie eines zweiten Anschlags prüfen die Ermittler auch den Verdacht einer sogenannten Kreuzkontamination. Der vor der Attacke auf die Skripals verwendete Behälter zur Aufbewahrung des Nervengifts sei bis heute nicht gefunden worden, sagte eine ranghohe Regierungsquelle der PA. Denkbar sei deshalb, dass das Paar mit demselben Gegenstand in Berührung kam.

Als Reaktion auf den neuerlichen Vergiftungsfall tritt der Sicherheitsrat der Regierung, das sogenannte Cobra-Komitee, am Donnerstag zu einer Krisensitzung unter Führung des britischen Innenministers Sajid Javid zusammen. Federführend bei den Ermittlungen ist die mit über 100 Kräften beteiligte Anti-Terror-Sektion der Polizei.

... Charles Rowley (45) wurden mit Nowitschok vergiftet.
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Opfer sind aus der Region

Bei den nun vergifteten Opfern handelt es sich nach Polizeiangaben um den arbeitslosen Automechaniker Charles Rowley (45) und die 44-jährige Dawn Sturgess aus der Region. Zunächst sei die Frau am Samstag kollabiert, später mussten die Ärzte auch den Mann ins Spital bringen. «Als er nach Hause kam, begann er stark zu schwitzen. Er hat gegen die Wand geschlagen», sagte ein Freund der beiden, Sam Hobson, zu Dailymail. «Seine Augen waren weit aufgerissen, er begann unzusammenhängend zu plappern und ich konnte sehen, dass er halluzinierte.» Rowley soll sich wie ein Zombie verhalten haben. Hobson habe dann den Krankenwagen gerufen.

Wissenschaftler prüfen nun, ob das Gift mit der Substanz identisch ist, die bei den Skripals verwendet worden war. Unter dem Begriff Nowitschok läuft eine ganze Gruppe eines bestimmten Nervengifts, das nach Hautberührung oder Einatmen binnen 30 Sekunden bis zwei Minuten Folgen beim Opfer zeigt.

Das Paar soll unter anderem eine Veranstaltung in einer Kirche besucht haben, bevor es am Samstag erkrankte. Die Beamten waren zunächst davon ausgegangen, dass die beiden möglicherweise verunreinigtes Heroin oder Crack-Kokain eingenommen haben könnten und sich daher im kritischen Zustand befinden. Rowley und Strugess hatten schon mehrmals Kontakt zu Drogen.

Das Forschungslabor für Chemiewaffen im nahe gelegenen Porton Down wurde mit den Untersuchungen befasst. Dort war auch das Nervengift Nowitschok im Fall Skripal identifiziert worden. Unabhängige Untersuchungen der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) bestätigten damals das Ergebnis.

Stadtteile abgesperrt

Die Bevölkerung erwartet Antworten - viele Menschen in der Region fürchten um ihre eigenen Gesundheit, zumal auch diesmal wieder einige Bereiche in Salisbury und in dem Wohnort des Paares, dem rund 13 Kilometer weiter nördlich gelegenen Amesbury, vorsichtshalber abgesperrt wurden. Die Gesundheitsbehörde ging zunächst zwar nicht von einer «bedeutenden Gesundheitsgefährdung» für die Öffentlichkeit aus, doch die allgemeine Skepsis vermochte das nicht auszuräumen.

Schon im März waren Teile der Innenstadt von Salisbury abgeriegelt worden, nachdem die Skripals mit dem Kampfstoff vergiftet worden waren. Sie sassen bewusstlos auf einer Parkbank. Grossbritannien bezichtigte Russland, als Drahtzieher hinter der Tat zu stehen. Nowitschok war in der früheren Sowjetunion hergestellt worden.

Das Attentat auf die Skripals löste eine schwere internationale Krise aus. Zahlreiche westliche Staaten, auch Deutschland, wiesen Dutzende russische Diplomaten aus. Moskau reagierte mit ähnlichen Massnahmen. Die Skripals leben inzwischen an einem unbekannten Ort.(SDA/man)

Was ist Nowitschok?

Vieles deutet darauf hin, dass der russische Ex-Spion Sergej und seine Tochter Julia Skripal in England durch das Nervengift Nowitschok vergiftet wurden.

Tödlicher «Neuling»

Die Sowjetunion hat zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren eine Serie neuartiger Nervenkampfstoffe entwickelt, die zu den tödlichsten gehören, die je hergestellt worden sind. «Nowitschok» heisst auf Deutsch «Neuling». Es ist achtmal so stark wie der VX-Kampfstoff, mit dem Nordkorea in der Regel seine Feinde ermorden lässt.

Einfache Herstellung

Es braucht dazu nur zwei relativ harmlose Stoffe, die bei der Zusammenführung äusserst tödlich werden. Die Stoffe können ohne grosse Probleme transportiert und vor Detektoren versteckt werden. Als er 1992 das Geheimprogramm auffliegen liess, sagte der russische Chemiker Vil Mirzayanow: «Die Besonderheit dieser Waffe liegt in der Einfachheit ihrer Komponenten. Sie werden in der Zivilindustrie verwendet und können daher international nicht reguliert werden.»

Anwendung als Puder

Das Mittel wird vorwiegend als ultrafeiner Puder zerstäubt. Die Betroffenen sterben meistens an Herzversagen oder Ersticken, da sich die Lunge mit Flüssigkeit füllt. Überlebt das Opfer, bleibt es meistens gelähmt.

Gegenmittel

Dem Opfer muss umgehend die kontaminierte Kleidung ausgezogen, und der Körper muss gewaschen werden. Es gibt Gegenmittel, unter anderem Atropin, Pralidoxim und Diazepam. Deren rettende Wirkung ist aber nicht garantiert.

Vieles deutet darauf hin, dass der russische Ex-Spion Sergej und seine Tochter Julia Skripal in England durch das Nervengift Nowitschok vergiftet wurden.

Tödlicher «Neuling»

Die Sowjetunion hat zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren eine Serie neuartiger Nervenkampfstoffe entwickelt, die zu den tödlichsten gehören, die je hergestellt worden sind. «Nowitschok» heisst auf Deutsch «Neuling». Es ist achtmal so stark wie der VX-Kampfstoff, mit dem Nordkorea in der Regel seine Feinde ermorden lässt.

Einfache Herstellung

Es braucht dazu nur zwei relativ harmlose Stoffe, die bei der Zusammenführung äusserst tödlich werden. Die Stoffe können ohne grosse Probleme transportiert und vor Detektoren versteckt werden. Als er 1992 das Geheimprogramm auffliegen liess, sagte der russische Chemiker Vil Mirzayanow: «Die Besonderheit dieser Waffe liegt in der Einfachheit ihrer Komponenten. Sie werden in der Zivilindustrie verwendet und können daher international nicht reguliert werden.»

Anwendung als Puder

Das Mittel wird vorwiegend als ultrafeiner Puder zerstäubt. Die Betroffenen sterben meistens an Herzversagen oder Ersticken, da sich die Lunge mit Flüssigkeit füllt. Überlebt das Opfer, bleibt es meistens gelähmt.

Gegenmittel

Dem Opfer muss umgehend die kontaminierte Kleidung ausgezogen, und der Körper muss gewaschen werden. Es gibt Gegenmittel, unter anderem Atropin, Pralidoxim und Diazepam. Deren rettende Wirkung ist aber nicht garantiert.

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