Venedig-Bürgermeister Luigi Brugnaro (58) ist verzweifelt
Hilfe, meine Stadt ertrinkt!

Seit Dienstagnacht erlebt Venedig die grösste Flutkatastrophe seit über 53 Jahren. Die Schäden belaufen sich auf fast eine Milliarde Euro.
Publiziert: 15.11.2019 um 18:43 Uhr
|
Aktualisiert: 17.11.2019 um 11:15 Uhr
Myrte Müller

Luigi Brugnaro (58) gönnt sich keine Pause. Der Bürgermeister von Venedig kämpft sich in Gummistiefeln durch die Wassermassen. Mit dem Handy hält er die Katastrophe in der Lagunenstadt fest, postet und sendet Bilder der Verwüstung in die Welt – und mit ihnen seinen Hilferuf. «Das ist ein Desaster», sagt der Venezianer. Die Flut habe Venedig in die Knie gezwungen, «der Staat muss mit anpacken, sonst schafft die Stadt es nicht.» Denn Venedig drohe zu versinken. Apokalyptischen Ausmasses bezeichnet auch der Gouverneur von Venetien, Luca Zaia, die Unwetterschäden.

Die Verwüstung beginnt am Dienstagabend. Venedig wird von vollkommener Finsternis umhüllt. Der Sturm bläst mit über 100 km/h über das Meer in Richtung Küste. Der Sturm drückt das Wasser in die Stelzenstadt. Gondeln und Motorboote werden vom Kai gerissen und in die Kanäle gespült, verkanten sich an Brücken. Drei Wasserbusse versinken. Es gibt die ersten Toten.

Auf der Insel Pellestrina stirbt ein 78-jähriger Mann an einem Stromschlag, weil Wasser in seine Wohnung eingedrungen war und einen Kurzschluss auslöste. In einem anderen Haus wird eine weitere Leiche entdeckt.

Findet in diesen Tagen kaum Schlaf: Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro (58) wurde nun offiziell zum Katastrophen-Einsatzleiter ernannt.
Foto: keystone-sda.ch
1/12

Schäden in Höhe von fast einer Milliarde Euro

Gegen 22.50 Uhr steigt der Pegel auf 187 Zentimeter über den Meeresspiegel. Das sei der höchste Wert seit den verheerenden Überschwemmung im Jahr 1966, als 194 cm erreicht wurden. Der Bürgermeister erklärt den Sturm zur Naturkatastrophe. Unermüdlich zählt er die Schäden in seinem Venedig. Diese sollen mittlerweile bei fast einer Milliarde Euro liegen.

Am Freitagvormittag wird Luigi Brugnaro zum Kommissar der Flutkatastrophe. Über die Sozialen Netzwerke appelliert der Venezianer: «Wir brauchen euer aller Hilfe in diesen Tagen, die uns derart hart auf die Probe stellen.» Rückenwind erhält er vom Regierungschef. Giuseppe Conte (55) reiste tags zuvor an und versprach 5000 Euro für jeden geschädigten Bürger und 20'000 Euro für Betriebe. Insgesamt 20 Mio. Euro an Soforthilfe.

2021 soll Venedig endlich durch den Schutzwall sicher sein

«Die Räume der Häuser gleichen Schwimmbädern», berichtet Brugnaro, «der Markusdom erlitt schwere Schäden.» Die Krypta sei überflutet worden. Das Wasser stieg hier auf 1,10 Meter. Auch das Theater Fenice habe gelitten. Überall liegen Stromversorgung und Internet lahm. Das Wasser kann zum Teil nicht abgepumpt werden. 80 Prozent der Altstadt versinkt in den Fluten. Schulen und Museen sind geschlossen. Selbst den Markusplatz lässt der Bürgermeister sperren, weil die Gehsteige aus Holz für die Besucher über dem knietiefen Wasser davongeschwemmt werden.

Dabei hätte Venedig verschont werden können, wenn die an drei Hafenzugängen im Meeresboden verankerten Hochwasserschutz-Barrieren funktionieren würden. Fünf Milliarden Euro hat das Projekt «Mose» bereits verschlungen. Geld, das zum Teil im Korruptionssumpf versickerte. Seit 15 Jahren wird daran gebaut. 400 Millionen Euro fehlen noch zur Fertigstellung. Die will nun die italienische Regierung stemmen. 2021 soll der Schutzwall endlich in trockenen Tüchern sein.

Neue Unwetter angekündigt

Für den späten Samstag kündigten Meteorologen neue Unwetter an. Die Schulen, die in Italien eigentlich auch am Samstag geöffnet sind, sollten weiter geschlossen bleiben.

Für den Vormittag sagte die Kommune einen Wasser-Höchststand von etwa 120 Zentimetern über dem normalen Meeresspiegel vorher. Bei dieser Höhe wird auch wieder der Markusplatz überschwemmt, weil er der niedrigste Punkt der Lagunenstadt ist. Der Wert liegt allerdings weit unter dem Rekord von Dienstag, an dem 187 Zentimeter erreicht wurden und fast die ganze Unesco-Welterbestadt überschwemmt war. Es war der höchste Wert seit mehr als 50 Jahren.

Viele Museen und Sehenswürdigkeiten, darunter auch der Dogenpalast am Markusplatz, sollten am Samstag wieder öffnen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?