Proteste gegen Donald Trump in Milwaukee
«Viele vergessen, dass Trump einzig kandidiert, weil er nicht ins Gefängnis will»

Am republikanischen Parteikongress in Milwaukee formieren sich Proteste gegen Donald Trump. Seine Gegner fürchten, er zerstöre die Demokratie. Doch wegen des Attentatsversuchs demonstrieren weniger Personen als erwartet.
Publiziert: 16.07.2024 um 21:11 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2024 um 15:54 Uhr
Peter Hossli (Text) und Nathalie Taiana (Fotos) aus Milwaukee

Ihr Transparent sei so gross, dass man es vom Weltall aus sehen könne, sagt Nadine Seiler (55), die durch die Stadt Milwaukee läuft. Mit beiden Armen spannt sie ein Tuch, auf das sie Schlagworte geschrieben hat: «Rassist». «Vergewaltiger.» «Betrüger.» «Verbrecher.»

Nadine Seiler (55), Haushaltsorganisatorin aus Waldorf, Maryland, protestiert gegen Donald Trump.
Foto: Nathalie Taiana

Vor fast vierzig Jahren kam sie aus Trinidad und Tobago in die USA, «weil das Land frei war», sagt Seiler. Sie lebt in Waldorf, Maryland, und arbeitet als Haushaltsorganisatorin. Jetzt verbringt sie eine Woche in Milwaukee, um gegen Donald Trump (78) zu demonstrieren, «weil ich mir Sorgen um den Zustand unseres Landes mache». Für sie ist der republikanische Präsidentschaftskandidat «eine existenzielle Bedrohung für die amerikanische Demokratie».

Es sei beschämend, «dass Amerika, das einflussreichste und grossartigste Land der Welt, keinen anderen Menschen mit einem besseren Charakter finden kann».

Demonstrantinnen am Parteikongress der Republikaner in Milwaukee.
Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire
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Seine Wahl 2016 habe sie noch nachvollziehen können, «wir wussten ja nicht, wer er ist», so Seiler. «Aber jetzt? Ich verstehe es nicht, ich bin fassungslos.» Wie könne ein «Serienlügner» und «Serienbetrüger» so weit kommen?

Weniger Demonstranten als erwartet

Sie erinnert daran, dass Trump in einem Zivilprozess wegen Vergewaltigung Millionen zahlen musste und ein New Yorker Strafgericht ihn in 34 Anklagepunkten schuldig gesprochen hat.

Auf den Strassen von Milwaukee ist es aber nicht allzu laut. Am ersten Tag versammelten sich nach Schätzungen der Polizei zwischen 700 und 800 Demonstranten – weniger als die erwarteten Zehntausend. Der versuchte Mordanschlag auf Donald Trump habe viele abgeschreckt, erklärten Teilnehmer die geringere Zahl.

Die Botschaften waren gemischt. Alle wollten Trump stoppen, einige brachten ihren Hass auf Israel zum Ausdruck, andere setzten sich für LGBTIQ-Rechte ein und forderten mehr Hilfe für die Ukraine.

Seiler ist enttäuscht über die geringe Zahl der Demonstranten. «Die amerikanische Öffentlichkeit ist apathisch und selbstgefällig. Demokratie entsteht nicht einfach, man muss für sie kämpfen.»

Zumal Trumps Politik nicht allen, sondern nur einem Prozent der Amerikaner diene. «Aber die amerikanische Öffentlichkeit lässt sich von den glänzenden Dingen ablenken und nimmt sich nicht die Zeit, sich mit irgendetwas zu beschäftigen.»

Jeden Tag fährt Guy Young (70) zwei Stunden, um in Milwaukee gegen Donald Trump zu demonstrieren. «Viele vergessen, dass Trump einzig kandidiert, weil er nicht ins Gefängnis will.»
Foto: Nathalie Taiana

Auf der anderen Seite des Kongresszentrums hat sich Guy Young (70) mit zwei handbemalten Schildern aufgereiht. Der Hausverwalter fährt jeden Morgen zwei Stunden von Brookfield, Illinois, um gegen Trump zu demonstrieren. Für ihn ist Trump «die grösste Bedrohung in der Geschichte Amerikas».

Er habe immer nur Demokraten gewählt, mit einer Ausnahme: 1972 gab er Richard Nixon (1913 – 1994) seine Stimme. «Das war ein Fehler, den sich die USA noch leisten konnten. Wir können es uns nicht mehr leisten, Trump zu wählen. Er würde die Demokratie zerstören.»

Zumal es dem Republikaner nur um sich selbst gehe. «Viele vergessen, dass Trump einzig kandidiert, weil er nicht ins Gefängnis will.»

Zweifel an den schlechten Umfragewerten von Biden

Bis November will Young alles tun, um junge Menschen zum Wählen zu bewegen. «Wir Demokraten müssen dranbleiben, verliert Biden, wird er als einer der schlechtesten Präsidenten in die Geschichte eingehen.»

Trotz der schlechten Umfragewerte ist er zuversichtlich. «Die Umfragen bedeuten nichts, weil sie über Telefone zu Hause gemacht werden, und die meisten Leute haben nur noch Handys.»

«Lasst Trump, den Baumstrunk, fallen!»: Kevin Lynch (72) ist Künstler und Kulturjournalist aus Milwaukee, Wisconsin.

Kevin Lynch (72) holt ein selbst gemaltes Schild aus seinem Auto. Es zeigt Trump als Baumstamm, die Haare gelb, die Krawatte feuerrot, der Gesichtsausdruck steinern. «Mir gefällt nicht, wie er Misstrauen gegenüber dem Staat sät», sagt Lynch, ein Künstler aus Milwaukee. «Damit schadet er der Demokratie und suggeriert, dass eine Stimme nichts mehr wert ist.»

Trumps Werte stehen im Widerspruch zu seinen eigenen. «Die USA sind eine Nation von Einwanderern», sagt Lynch und zeigt auf den Aufkleber an seinem Auto: «We’re all immigrants», wir sind alle Einwanderer. «Aber Trump nennt die Menschen, die zu uns kommen, Vergewaltiger und Kriminelle.» Es sei ironisch, dass Gerichte ihn als Kriminellen verurteilten.

Wie viele ältere Demonstranten schaut Lynch in die Geschichtsbücher. «Es geht um dasselbe wie bei Abraham Lincoln», sagt er – dem US-Präsidenten, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Sklaverei abschaffte, das Land zusammenhielt und dafür erschossen wurde. «Es geht um nichts weniger als den Erhalt unserer Union.»

Und weil die Demokraten das verstünden, wähle er Biden. Das Alter mache ihm keine Sorgen. Und sollte Biden einen Zusammenbruch erleiden, könne Vizepräsidentin Kamala Harris einspringen. «Sie ist kompetent, die Leute unterschätzen sie.»

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