Philosophie-Professor Georg Kohler über den Glaubenskrieg in den USA
«Den Feind bekämpft man bis zuletzt»

Warum sich der 45. US-Präsident nicht mässigen kann, weshalb Republikaner und Demokraten nach dem Hass-Wahlkampf Feinde bleiben: Antworten vom Fachmann.
Publiziert: 13.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:13 Uhr
Interview: Simon Marti und Marcel Odermatt

SonntagsBLICK: Herr Kohler, vor allem weisse, heterosexuelle, christliche Männer haben am Dienstag Donald Trump zum Präsidenten gemacht. Warum sind die so begeistert von ihm?
Georg Kohler:
Diese Gruppe der tatsächlich vom ökonomischen und sozialen Abstieg bedrohten Menschen – nicht nur Männer der weissen Mittelschicht – sieht eben, dass ihre jahrhundertealte Vormachtstellung schwindet. Sie kann nicht auf andere herunterschauen, wird nicht mehr automatisch bevorzugt, sie muss jetzt um ihre Stellung kämpfen. Das macht diese Gruppe auch anfällig für Radikalisierungen, wie Trump zeigt.

Wie meinen Sie das?
Viele sagten sich: Ich bin ein armes Würstchen, stehe auf der Verliererseite, werde in die Ecke gedrängt. Aber Trump macht mein Land wieder gross – «make America great again». Und er sagt, wer verantwortlich ist dafür, dass es nicht mehr gross ist: der Feind im Innern und im Ausland.

Was ist daran falsch? Machen das nicht alle Politiker?
Nein. Trump schafft diese Feindbilder. Er sagt ja, Mexikaner seien kriminell und Vergewaltiger, er will Muslime nicht mehr einreisen lassen. Diese Rhetorik erinnert an die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Aber es zeigt sich: Viele Bürger im Westen haben eben genug von einer übertriebenen Political Correctness.

Trump wird seine Wähler enttäuschen: Georg Kohler (71), Professor für politische Philosophie an der Universität ­Zürich.
Foto: Fabienne Buehler

Sie auch?
Wir haben es übertrieben, ja. Natürlich darf man Minderheiten nicht diffamieren. Aber es ist heikel, erwachsenen Menschen den Mund zu verbieten. Populisten wissen, wie sie Menschen mit einer raueren Sprache abholen können.

Sind das nicht bloss Slogans?
Bei Trump steckt mehr dahinter. Er verbreitet illusionäre Hoffnungen, die er nicht erfüllen kann. Wir leben heute in einer vernetzten Gesellschaft. Niemand mehr kann einfach machen, was er will, ohne Blick auf das Ganze. Die USA sind wie die Schweiz eine multikulturelle Gesellschaft, jeder muss auf den anderen Rücksicht nehmen. Und die Zeiten, als die USA auf jedem Gebiet die Grössten waren, sind passé.

Das Land ist die einzige verbliebene Supermacht.
Das stimmt. Trotzdem kann es nicht mehr schalten und walten, wie es will. Schauen Sie auf den Nahen Osten, den Krieg im Irak. Wahrscheinlich war die grösste Leistung von Obama einzusehen, dass die militärische Macht der USA beschränkt ist, dass er keine weiteren Kriege in dieser Region angezettelt hat. Im Gegenteil, er hat sich zurückgezogen.

Sie sind kein Fan von Trump. Aber dürfen wir mit dem Finger über den Atlantik zeigen? Viktor Orban regiert in Ungarn, bald könnten Norbert Hofer in Österreich und Marine Le Pen in Frankreich die Macht haben.
Sie haben recht. Das Vorgehen dieser Rechtspopulisten gleicht dem von Trump. Auch sie machen die Fremden in ihren Ländern verantwortlich für die Probleme ihrer Staaten. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: In Europa haben wir als Ausgleich einen ausgebauten Sozialstaat. Er verhindert, dass viele Menschen in die totale Armut abgleiten, wie das leider in den USA millionenfach der Fall ist. Dieses Netz verhindert soziale Unruhen. Und in den USA sind in Zukunft Unruhen in Ausmassen denkbar, wie wir sie uns jetzt noch nicht recht vorstellen können.

Sie warnen vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen?
Natürlich ist «Bürgerkrieg» überspitzt formuliert. Aber man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Sprache des Herrn Trump nicht ohne Konsequenzen ist. Wer Frau Clinton ins Gefängnis bringen will, kann nicht einfach wieder mit ihren Anhängern demokratisch zusammenarbeiten. Das Beschwören von Feindbildern – was ist das anderes als die Rhetorik des Krieges? Mit einem Gegner kann man Lösungen suchen, einen Feind bekämpft man bis zuletzt.

Trump hat nach dem Sieg die Hand ausgestreckt – und ­Hillary Clinton Respekt gezollt.
Ja, nachdem er sie monatelang dämonisiert hatte. Viele sind nun schnell dabei zu sagen: So ist halt der Wahlkampf, jetzt politisieren wir wieder zusammen. Aber so einfach ist es nicht.

Wahlkämpfe schlagen Wunden.
Dieser Wahlkampf hatte eine neue Dimension. Ein Austausch von Argumenten – davon lebt jede Demokratie – fand nicht statt. Trump kann nun nicht einfach den Fuss vom Gas nehmen. Das machen seine Anhänger nicht mit.

Eine Debatte hat nicht stattgefunden, sagen Sie. Kann es gelingen, sie wieder zu beleben?
Wenn nicht, geht die Demokratie zugrunde. Sie lebt von der Diskussion und dem besseren Argument. Wenn jedes Grüppchen ihre eigene Echo-Kammer schafft, ist es aus damit. Was wir in Amerika gesehen haben, sind keine politischen Überzeugungen mehr, sondern Konfessionen und ihre Gläubigen: Trumpianer und Clintonisten. Die Geschichte zeigt, was passieren kann, wenn Religionen aufeinanderprallen.

Trump hat mit seiner Anti-Establishment-Rhetorik Menschen mobilisiert, die sich zum Teil von der Politik abgewendet hatten. Wie die Brexit-Befürworter in Grossbritannien – und die SVP in der Schweiz.
Da gibt es sicher Parallelen. Populismus funktioniert überall. Hier aber hat das Schweizer Initiativrecht als Ventil funktioniert. Unsere demokratischen Institutionen sind stabiler. Die Amerikaner und Briten kennen das nicht in dieser Form. Und so brach sich die Stimmung beim Ja zum Brexit und der Wahl von Trump Bahn.

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