Blick nach dem Trump-Attentat am Republikaner-Kongress in Milwaukee
«Eine Schande, wie wütend Amerika geworden ist»

Nach dem Attentat auf Donald Trump ist es mit der Leichtigkeit des Sommers in den USA vorbei. In Milwaukee, wo die Republikaner diese Woche Trump zum Präsidentschaftskandidaten küren wollen, fordern alle eine mildere Rhetorik.
Publiziert: 15.07.2024 um 00:52 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2024 um 09:37 Uhr
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Peter HossliReporter & Leiter Journalistenschule

Am Himmel kreisen Helikopter. Auf den Dächern liegen Scharfschützen. Auf dem Fluss patrouillieren Boote. Polizisten stoppen alle, die eine der Strassensperren aus hartem Stahl passieren wollen.

An diesem schwül-heissen Sonntagnachmittag gleicht die Stadt Milwaukee einer Festung. Einer Festung, die stündlich sicherer wird. Mehr Strassen werden geschlossen, Polizisten schwärmen aus.

Als befände sich Amerika im Krieg, mit dem Feind im Innern des Landes.

Jeff Allen (65) sitzt vor dem Milwaukee Public Market. Er sagt gegenüber Blick: «Es ist schrecklich, dass unser politisches Leben von Gewalt geprägt ist.»
Foto: Nathalie Taiana
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Die verschärften Sicherheitsvorkehrungen haben zwei Gründe: Am Montag beginnt hier in Milwaukee der Parteikongress der Republikaner, ein politisches Spektakel mit 50'000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Sie verabschieden das republikanische Parteiprogramm und küren Donald Trump (78) offiziell zu ihrem Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im November.

«Schrecklich, dass unser politisches Leben von Gewalt geprägt ist»

Zusätzlichen Drall erhält der Parteikongress durch den Attentatsversuch auf Trump am Samstagnachmittag in Butler, Pennsylvania. Die Schüsse reissen Amerika aus der Leichtigkeit des Sommers. Die Hundstage haben ihre Unschuld verloren.

Der ehemalige Investement Banker Jeff Allen (65) in Milwaukee. «Bestimmen Ereignisse wie das Attentat das politische System, ist die Demokratie in Gefahr.»
Foto: Nathalie Taiana

Jeff Allen (65) sitzt vor dem Milwaukee Public Market, wo sich Imbissstände aneinanderreihen. Er trinkt einen eisgekühlten Kaffee. «Es ist schrecklich, dass unser politisches Leben von Gewalt geprägt ist», sagt der ehemalige Investmentbanker. Er kam in Milwaukee zur Welt und hat seit 18 keine Wahlen verpasst. Stets wählte er die Kandidaten der Demokraten.

Ihn sorgt die «Grobheit des Dialogs zwischen den Parteien». Amerikaner seien andere Menschen, als die Medien und die Politik sie zeigten. «Es gibt hier draussen eine grosse vernünftige Mitte, fleissige Menschen, die nicht zu den Extremen gehören. Zu Wort kommen nur noch die lauten Menschen.»

Vielleicht sei das Attentat ein Zeitpunkt, um sich zu besinnen und die Spaltung im Land zu überwinden. «Früher hatten wir in diesem Land echte Staatsmänner, die die Menschen führten – diese Führung ist verloren gegangen. Und zwar auf beiden Seiten.»

Der Schütze war Republikaner

Er hofft sehr, dass das Attentat die Wahlen nicht beeinflusst. «Mir wäre es lieber, wenn die Menschen aufgrund ihrer echten Probleme wählen. Bestimmen solche Ereignisse das politische System, ist die Demokratie in Gefahr.»

Das Land dürfte nach dem Attentat zusammenstehen, wie es immer zusammensteht, wenn es Gewalt ausgesetzt war. Zumindest in den nächsten Tagen, vielleicht sogar Wochen, wird die amerikanische Politik etwas leiser werden, die verbalen Angriffe verstummen, da es einen Angriff auf Leib und Leben gab. Zurückhaltender dürfte die Tonalität des Parteikongresses werden.

Zumal der Schütze Thomas Matthew Crooks (†20) registrierter Republikaner war und für vieles stand, was die Republikaner ganz oben auf ihrer politischen Agenda haben. Er wuchs in Pennsylvania auf, wo es erlaubt ist, Waffen offen zu tragen, und wo die Republikaner den Einsatz von halbautomatischen Gewehren wie dem AK-15 befürworten – der Waffe, mit der Crooks auf Trump schoss. «Für mich ist es besonders wichtig, dass Trump uns das Recht auf Waffen garantiert», sagte der Vorsitzende der Republikaner, James E. Hulings (79), einen Tag vor dem Attentat zu Blick.

Rettungssanitäterin Sharon Cintollo in Milwaukee, Wisconsin. Sie nimmt am Parteitag teil. «Politik bedeutet nicht, die andere Seite zu töten.»
Foto: Nathalie Taiana

Es sei «schrecklich», was in Butler passiert sei, sagt die Rettungssanitäterin Sharon Cintollo (60). Sie stammt aus Quincy im US-Bundesstaat Massachusetts und nimmt diese Woche am Parteitag der Republikaner teil. Sie trägt dunkle Stoffhosen und ein Trump-T-Shirt. «Es ist an der Zeit, dass sich alle beruhigen», fordert Cintollo.

Attentat auf Donald Trump in Pennsylvania
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Schüsse und Panik:Attentat auf Donald Trump bei Wahlkampf in Pennsylvania

«Eine Schande, wie wütend Amerika geworden ist»

Es bringe nichts, wenn die Demokraten Trump ständig als «Hitler» bezeichneten und die Republikaner von «Invasion» sprächen, wenn sie die illegale Einwanderung aus Mexiko meinten. «Es ist eine Schande, wie wütend Amerika geworden ist. Es gab eine Zeit, da waren wir alle unterschiedlicher Meinung und trotzdem Freunde. Wenn jemand für seine Überzeugungen gehasst wird, ist das erschreckend.»

Dann sieht sie den Angriff auf Trump als Chance für Amerika. «Es kommt jetzt darauf an, wie die Demokraten über die Republikaner und die Republikaner über die Demokraten reden.» Das Land sei tief gespalten, daran seien beide Seiten schuld, weil beide Lügen verbreiteten und weil die Medien sie aufbauschten. Sie hoffe, dass sich nun die Vernünftigen zu Wort melden. «Politik bedeutet nicht, die andere Seite zu töten.»

Politikexperten waren sich schnell einig: Der Anschlag hilft Trump. Allerdings hatte er schon vorher gute Chancen, ins Weisse Haus zurückzukehren. Die Stimmung im Land hat sich gegen Biden gedreht. Nicht nur wegen seines Alters, sondern auch wegen der Wirtschaftslage und der Kriege.

Selbst die Demokraten in Milwaukee sind nicht mehr zuversichtlich für diese Wahl. «Es ist Zeit, sich auf 2028 vorzubereiten», sagt Jerry aus Milwaukee, der nur seinen Vornamen preisgeben will. Kaum ein anderer Kandidat sei bereit, für Biden einzuspringen und dann gegen Trump zu verlieren. «Niemand will sich verheizen lassen.»

Aussichtsreiche Kandidaten dürften sich zurückhalten und in vier Jahren antreten, wenn es nicht mehr darum geht, Trump zu schlagen.

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