«Im Zweifelsfall muss Nancy Pelosi ran»
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US-Verfassungsexperte Douglas:«Im Zweifelsfall muss Nancy Pelosi ran»

US-Verfassungsexperte Lawrence Douglas über die düsteren Wahl-Szenarien
«Im Zweifelsfall muss Nancy Pelosi ran»

Es wird eng zwischen Donald Trump und Joe Biden, glaubt Lawrence Douglas. Im Interview mit BLICK erklärt der bekannte Rechtsprofessor sein Horrorszenario für die US-Wahl – und warum Amerika am Ende doch noch eine Präsidentin bekommen könnte.
Publiziert: 01.09.2020 um 07:54 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2021 um 15:36 Uhr
Interview: Fabienne Kinzelmann

Professor Douglas, hat die Welt am Morgen nach dem 3. November einen neuen US-Präsidenten?

Lawrence Douglas: Nein. Wir Amerikaner behandeln den Wahltag immer wie ein Sportevent und erwarten, dass wir am Ende des Tages ein Ergebnis haben. Diesmal wird es Wochen dauern, bis wir wirklich wissen, wer gewonnen hat. Und das ist kein Zeichen dafür, dass das System nicht funktioniert, sondern einfach dafür, dass die Umstände aussergewöhnlich sind und zehn Millionen Amerikaner, die das sonst nicht machen, diesmal per Brief wählen werden.

Aber kann die US-Post das bewältigen?

Trump gibt sich ja alle Mühe, sie zu diskreditieren. Auf der einen Seite behauptet er, sie wäre korrupt und die Briefwahl manipulierbar. Auf der anderen Seite versucht er, sie als Waffe zu missbrauchen, um die Präsidentschaftswahl zu verschieben.

Trump fürchtet die Briefwahl, weil sie vor allem in den grossen Städten genutzt wird, wo die meisten Menschen die Demokraten wählen.

Exakt. Dass Trump die Rechtmässigkeit der Briefwahl infrage stellt, wird die US-Post mächtig unter Druck setzen. Daran gibts gar keine Zweifel. Das wird sich massiv auf die Stimmauszählung in den einzelnen Staaten auswirken. Das wird zu Rechtsstreitigkeiten führen, denn wenn diese Stimmzettel verspätet eintreffen, werden die Republikaner Klagen einreichen, um sicherzustellen, dass sie nicht gezählt werden. Und die Demokraten werden Gegenklagen einreichen, um zu fordern, dass die Staaten Stimmzettel einbeziehen, die aufgrund von Versäumnissen der US-Post verspätet eintrafen. Und dieser Rechtsstreit wird auch den gesamten Prozess der Auszählung in die Länge ziehen.

Schaut voller Sorge auf die US-Wahl: Der Rechtswissenschaftler und Vordenker Lawrence Douglas vom renommierten Amherst College in Massachusetts.
Foto: Maria Stenzel
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Ist die Vereidigung am 20. Januar in Gefahr?

Laut Bundeswahlrecht haben die Bundesstaaten bis zum 8. Dezember Zeit, um herauszufinden, wer den jeweiligen Staat gewonnen hat. Denn am 14. Dezember müssen die Wahlleute für Trump oder Biden in die jeweiligen Hauptstädte der Bundesstaaten gehen und ihre Stimme abgeben. Und vergessen Sie nicht, dass es sich bei diesen Abstimmungen im Wahlkollegium, den sogenannten Wahlleuten, um 538 echte Menschen handelt, die diese Art von zeremonieller Funktion wirklich ausüben. Wenn Biden Michigan gewonnen hat, dann gehen Bidens Wahlleute in die Landeshauptstadt Lansing und müssen am 14. Dezember wählen. Und diese Stimmen werden dann am 6. Januar 2021 an den Kongress weitergeleitet. Der Kongress ist dafür verantwortlich, diese Stimmzettel zu öffnen und zu erklären, wer letztendlich der gewählte Präsident ist.

Was ist Ihr Worst-Case-Szenario?

Genau dieses Problem rund um den 8. und den 14. Dezember. Das finde ich verdammt knapp, wenn ich daran denke, dass sie in einem Bezirk in New York vor kurzem sechs Wochen gebraucht haben, um Vorwahlstimmen auszuzählen. Und ich fürchte, Trump wird darauf pochen, dass derjenige der Sieger ist, der am 3. November vorne liegt.

Was hat Trump davon?

In vielen der Swing States, die die Wahl entscheiden, könnte er an diesem Tag tatsächlich vorne liegen, weil viele Stimmen der demokratischen Wähler, die mehrheitlich in den Städten leben und per Briefwahl stimmen werden, noch nicht ausgezählt sind. Und wenn die Auszählung der Wahlen in einem Swing State wie Pennsylvania wirklich erheblich verzögert wird, dann könnte ein republikanisches Parlament in diesen Staaten Trump und der demokratische Gouverneur desselben Staates Biden zum Sieger erklären lassen.

Kam das in der Geschichte der USA schon mal vor?

Ja, 1876, da kamen nach einer skandalösen Wahl verschiedene Wahlzertifikate beim US-Kongress an. Der Kongress muss dann jeweils entscheiden. Das wird aber nicht der aktuelle Kongress sein, sondern der neue, der am 3. Januar 2021 vereidigt wird. Aber wenn der neue Kongress wieder so gespalten ist – nämlich mit einem von den Republikanern kontrollierten Senat und einem von den Demokraten kontrollierten Repräsentantenhaus –, dann haben Sie wirklich ein Rezept für ein Patt: Ein Rezept dafür, dass niemand zum Präsidenten gewählt wird.

Was ist das Verfahren in so einer Patt-Situation?

Es gibt keins! Wenn allerdings die Demokraten den Senat zurückerobern, liegt der gesamte Kongress in ihrer Hand und sie können Biden in Wisconsin, Michigan, Pennsylvania etc. als Sieger anerkennen.

Wird Trump das akzeptieren?

Bevor es überhaupt dazu kommt, wird er schon Chaos verbreiten. Er wird twittern, es sei alles Betrug. Er wird behaupten: Die Wahl wurde ihm gestohlen. Seine Anhänger werden auf die Strasse gehen.

Und dann bleibt er einfach im Oval Office sitzen?

Ich glaube nicht, dass er sich dort verbarrikadieren kann. An irgendeinem Punkt wird er das Weisse Haus verlassen müssen. Spätestens, wenn Biden vereidigt ist und ihn das Militär als gewählten Präsidenten anerkannt hat. Die viel grössere Gefahr ist ein gespaltener Kongress. Es gibt einfach kein Verfahren, um dann zu klären, welchem Kandidaten die Swing States zufallen.

Muss dann nicht der Oberste Gerichtshof einschreiten – wie 2000 bei George W. Bush gegen Al Gore?

Praktisch alle Verfassungsexperten in den Vereinigten Staaten würden wohl sagen, dass, sobald ein Wahlstreit in den Händen des Kongresses landet, der Oberste Gerichtshof keine Rolle bei seiner Beilegung zu spielen hat. Es liegt wirklich in der Verantwortung des Kongresses. Und wenn der Kongress gespalten ist, gibt es wirklich keine Möglichkeit, den Streit beizulegen.

Und ohne Lösung …

... gibt es eine Notlösung: das Gesetz über die Nachfolge des Präsidenten von 1947. Gibts am 20. Januar keinen gewählten Präsidenten oder Vizepräsidenten, muss Nancy Pelosi ran. Wenn sie als Abgeordnete zurücktritt, könnte sie als geschäftsführende Präsidentin vereidigt werden.

Würde Trump-Herausforderer Joe Biden eine Niederlage akzeptieren?

Das hoffe ich doch sehr – ausser, es gibt einen legitimen Grund dagegen. Etwa, dass Trump zur Wahlabschreckung Beamte der Immigrationsbehörde in Viertel mit vielen Wählern mit mexikanischen Wurzeln geschickt hat. Oder wenn es so aussieht, als wären viele Briefwahlstimmen nicht angekommen. Aber Biden würde die Wahl sicher nicht so grundsätzlich in Zweifel ziehen wie Trump.

Wie bereiten sich die Demokraten auf die verschiedenen Szenarien vor?

Es gibt viele Prozess-Teams, die nur zu dem Zweck gegründet wurden, sofort Klage zu erheben. Und zahlreiche Verfahren laufen schon. Etwa in Staaten, die die Möglichkeiten zur Briefwahl ausweiten oder zu technischen Dingen wie etwa Briefkästen zur Abgabe. Es gibt speziell gesicherte Wahl-Briefboxen. Statt den Briefwahlzettel zur Post zu bringen, kann man ihn einfach dort einwerfen. Pennsylvania möchte mehr davon aufstellen. Trumps Wahlteam verklagt den Staat nun, um das zu verhindern. Und Bidens Team hat eine Gegenklage eingereicht, damit mehr aufgestellt werden.

Klingt, als würde die US-Wahl im Gerichtssaal entschieden.

Ja. Diese sehr erfahrenen Juristen werden einen Haufen Klagen einreichen, die etwa den Zeitpunkt der Stimmabgabe betreffen. Oder Briefwahlstimmen, die wegen einer mangelhaften Unterschrift disqualifiziert werden – und diese Prozesse können sich ewig hinziehen.

Wissen Sie denn schon, wo Sie die Wahl schauen?

Zu Hause, denke ich. Gemeinsam mit ein paar Freunden – unter Einhaltung der Abstandsregeln versteht sich.

Der Vordenker

«Na, wie gehts?», fragt US-Rechtsprofessor Lawrence Douglas (60) beim Skype-Interview in fliessendem Deutsch. Der Jurist und Vordenker hat unter anderem in Heidelberg (D) studiert – «eine sehr langweilige Stadt!» – und lehrt am renommierten Amherst College in Massachusetts. Er schreibt auch Romane. Sein neustes Buch gehört allerdings nicht dazu: In «Will He Go? Trump and the Looming Election Meltdown in 2020» beschäftigt er sich mit erschreckenden Szenarien für die Präsidentschaftswahl am 3. November.

Maria Stenzel

«Na, wie gehts?», fragt US-Rechtsprofessor Lawrence Douglas (60) beim Skype-Interview in fliessendem Deutsch. Der Jurist und Vordenker hat unter anderem in Heidelberg (D) studiert – «eine sehr langweilige Stadt!» – und lehrt am renommierten Amherst College in Massachusetts. Er schreibt auch Romane. Sein neustes Buch gehört allerdings nicht dazu: In «Will He Go? Trump and the Looming Election Meltdown in 2020» beschäftigt er sich mit erschreckenden Szenarien für die Präsidentschaftswahl am 3. November.

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