Ungarns Regierungschef kann weiter schäumen
Scholz schickt Orban vor die Türe – für EU-Ja zur Ukraine

Ein Trick des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz ermöglichte das Ja zu EU-Beitrittsverhandlungen für die Ukraine. Ungarns Regierungschef Viktor Orban konnte so sein Gesicht wahren.
Publiziert: 15.12.2023 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2023 um 07:49 Uhr

Bis zum Beginn des EU-Gipfels galt der Streit über die Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine als festgefahren und schwer lösbar. 26 Staaten waren sich einig. Nur der ungarische Regierungschef Viktor Orban stellte sich quer, weil er die Bedingungen nicht als erfüllt ansah.

Die Lösung war am Ende keine inhaltliche, sondern ein Verfahrenstrick, vorgeschlagen von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der SPD-Politiker bat Orban, die Sitzung für die Abstimmung zu verlassen, um das erforderliche einstimmige Votum der anderen Staats- und Regierungschefs zu ermöglichen. Ungarn konnte so bei seinem Nein zu den Beitrittsverhandlungen bleiben, ohne sie zu blockieren.

Orban verhindert im Gegenzug Finanzhilfen

Gleich nach der Entscheidung machte Orban seine Ablehnung in einem Facebook-Video dann auch noch einmal sehr deutlich: «Es ist eine völlig unsinnige, irrationale und falsche Entscheidung, unter diesen Umständen Verhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen», sagte der Regierungschef. Ungarn werde seinen Standpunkt nicht ändern. Die anderen 26 EU-Länder hätten aber darauf bestanden, dass diese Entscheidung getroffen werde. Ob Orban für seinen Schritt eine Gegenleistung versprochen wurde, blieb offen.

Er liess Orban das Gesicht wahren: Bei der Abstimmung schickte Olaf Scholz den ungarischen Regierungschef vor die Türe.
Foto: imago/Le Pictorium
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Allerdings verhinderte Orban beim EU-Gipfel in Brüssel eine Einigung auf neue Finanzhilfen für die Ukraine. Es sei nun geplant, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten im Januar erneut mit dem Thema beschäftigten. Eigentlich hatte bei dem Gipfel beschlossen werden sollen, für die Unterstützung der Ukraine in den kommenden Jahren insgesamt 50 Milliarden Euro einzuplanen. 17 Milliarden Euro davon sollen als Zuschüsse fliessen, 33 Milliarden Euro als Kredite. Zudem ist auch geplant, andere Bereiche des langfristigen EU-Haushalts von 2021 bis 2027 anzupassen. Auf Wunsch von Ländern wie Italien soll es so auch zusätzliches Geld für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und Migrationspolitik geben. Auch diese Pläne sind allerdings vorerst von dem Veto Ungarns betroffen.

Selenski: «Sieg für die Ukraine»

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sprach nach dem Ja zu den Beitrittsverhandlungen von einem «Sieg für die Ukraine» und «für ganz Europa». Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Entscheidung «ein starkes Zeichen der Unterstützung und eine Perspektive für die Ukraine». Die Ukraine und Moldau gehörten «zur europäischen Familie».

Bis auf Ungarn hatten sich alle Mitgliedsländer zu Gipfelbeginn für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stark gemacht. Die Entscheidung erforderte Konsens der Mitgliedsländer. Orban habe entschieden, sein Veto nicht einzulegen, sagte der irische Regierungschef Leo Varadkar. Luxemburgs Ministerpräsident Luc Frieden sprach von einem «aussergewöhnlichen» Vorgehen, das wegen der geostrategischen Bedeutung gerechtfertigt sei, aber nicht zur Regel werden sollte.

Milliarden für Ungarn eingefroren

Vermutet wurde auch ein Zusammenhang mit zehn Milliarden Euro an EU-Mitteln für Ungarn, die wegen Rechtsstaatsverfehlungen zurückgehalten, aber von der EU-Kommission am Mittwoch freigegeben worden waren. Weitere 21 Milliarden Euro für Ungarn sind weiterhin eingefroren. Orban betonte, es bestehe kein Zusammenhang mit dem Ukraine-Thema.

EU-Ratspräsident Charles Michel begrüsste das grüne Licht für die Ukraine und Moldau als «historischen Moment». Dies zeige «die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, die Stärke der Europäischen Union». Auch das Weisse Haus in Washington sprach von einer «historischen Entscheidung». Die beiden Länder hätten einen «entscheidenden Schritt zur Erfüllung ihrer euro-atlantischen Bestrebungen» getan, erklärte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan.

Näher an die EU rückt durch die Gipfeleinigung auch Georgien, das den Status eines Beitrittskandidaten erhält. Die EU-Staaten wollen zudem Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina aufnehmen, sobald das Land die Bedingungen dafür erfüllt. Die EU-Kommission soll dazu im März einen Bericht vorlegen. Michel sprach von einem «klaren Signal der Hoffnung» für die Bewohner dieser Länder und für Europa. (AFP)

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