Trotz Tod von Anführer al-Bagdadi
Warum der IS noch nicht am Ende ist

Auf den ersten Blick sieht es schlecht aus für den Islamischen Staat. Doch der Eindruck täuscht. Auch wenn die Terrormiliz ihre Träume vom Kalifat begraben kann, kann sie doch noch sehr viel Blut vergiessen.
Publiziert: 13.07.2017 um 10:08 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:41 Uhr

Die irakische Armee erklärte das Kalifat des Islamischen Staats (IS) für beendet. Die Al-Nuri-Moschee in Mossul, in der das Reich vor drei Jahren ausgerufen wurde, wurde zurückerobert. Und nun ist auch, so scheint es, der Anführer Abu Bakr al-Bagdadi gefallen.

All das gibt Grund zur Annahme, dass es schlecht steht um die Terror-Miliz. Dass sie es nicht mehr lange macht. Doch das ist ein Trugschluss. Der Traum der Terroristen, einen richtigen, stabilen Staat aufzubauen, mag tot sein. Doch die Gruppe dürfte probieren, aus dem Untergrund noch eine Menge Schaden anzurichten.

Auch kontinuierliche Territorial-Verluste hielten den IS nicht davon ab, für Anschläge auf der ganzen Welt zu sorgen – auch in Europa. Im Gegenteil: Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass es mehr Anschläge gibt, je mehr Gebiete der IS verliert.

Ein IS-Kämpfer auf den Strassen von Rakka: Ein Bild, das immer seltener zu sehen sein wird. Dennoch ist der IS noch nicht am Ende.
Foto: STRINGER

Weniger Gebiete, mehr Anschläge

Zu diesem Schluss kam bereits ein Bericht der US-Institution «Combating Terrorism Center» vom März 2016. «Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Territorialverlusten, die dem Islamischen Staat von einer internationalen Koalition zugefügt werden und der immer grösser werdenden globalen Terror-Kampagne der Gruppe», heisst es darin.

Die darauffolgenden Monate gaben den Experten recht. Die Erkenntnisse kamen noch vor dem Flughafen-Attentat von Brüssel (ebenfalls März 2016), dem LKW-Anschlag in Nizza (Juli 2016), der Weihnachtsmarkt-Attacke in Berlin (Dezember 2016) und den Anschlägen in Grossbritannien in diesem Jahr. Diese und unzählige mehr reklamierte der IS für sich.

Dem Bericht zufolge gibt es zwei Hauptgründe für diese blutige Entwicklung: Erstens die Strategie der IS-Führung, sich auf internationale Anschläge zu konzentrieren – als Schutzmassnahme für das selbstdeklarierte Kalifat. Zweitens die Dynamik, dass Einzeltäter in der westlichen Welt selbst Anschläge planen und durchführen können, zu denen sich der IS dann bekennen kann.

Wechsel auf Guerilla-Strategie

Der IS hat im Irak und in Syrien rund 60 Prozent seines einstig kontrollierten Territoriums verloren. Und selbst wenn die Kämpfer aus der strategisch und symbolisch wichtigen Stadt Mossul vertrieben sind, dürfte der Krieg noch lange nicht beendet sein.

Einer Analyse der US-Militärakademie West Point zufolge verübte die Terrormiliz in 16 syrischen und irakischen Städten, aus denen sie bisher vertrieben wurde, bis heute schon 1500 Attentate. Das Fazit der Autoren: Der militärische Sieg sei zwar ein wichtiger Schritt, reiche aber nicht aus. In den zurückeroberten Gebieten müsse nun für Sicherheit gesorgt und der Wiederaufbau vorangetrieben werden.

Der BBC-Experte Alan Johnston prophezeit, dass der Islamische Staat seine Kriegs-Strategie ändern dürfte: «Die Militanten werden in den Untergrund gehen und auf vereinzelte Attacken im Guerilla-Stil setzen, in Mossul und vielen anderen Städten.»

Der IS verschwindet also nicht, er verwandelt sich. Und wir werden vermutlich noch eine Weile von ihm hören. (rey)

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