Trotz eroberter Stadt Mariupol
Warum Odessa für Putin so wichtig ist

Nach Mariupol greifen die Russen die Hafenstadt Odessa an, wo der Berner Bänz Margot den Einschlag einer Rakete miterlebt hat und Flüchtlingen hilft. Für eine Eroberung der Stadt reiche es den Russen aber nicht, meint ETH-Militärexperte Mauro Mantovani.
Publiziert: 10.05.2022 um 20:09 Uhr
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Aktualisiert: 10.05.2022 um 20:17 Uhr
Guido Felder

Mariupol hat er praktisch komplett zerstört, jetzt scheint der russische Präsident Wladimir Putin (69) mit Odessa eine weitere Hafenstadt ins Visier zu nehmen. In der Nacht auf Dienstag schlugen mehrere Raketen in der Region Odessa ein. Gerüchte, dass Putin die gefürchteten Hyperschallraketen einsetzte, verneinte das US-Verteidigungsministerium. Man habe keine Hinweise darauf.

Getroffen wurden unter anderem das moderne Riviera-Einkaufszentrum, ein Warenlager sowie touristische Einrichtungen. Es gab mindestens einen Toten und fünf Verletzte.

Bereits am Tag zuvor kam es zu Raketenangriffen, als EU-Ratspräsident Charles Michel (46) die Stadt besuchte. Michel und der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal (46) mussten Schutz suchen.

Am Dienstag organisierte Bänz Margot in Odessa die Ausreise von rund 80 Ukrainerinnen und Ukrainern.
Foto: Zvg
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Schweizer hilft in Odessa

Der Berner Bänz Margot (44) hat den Einschlag der Bombe im Einkaufszentrum miterlebt. Der Musiker ist zurzeit in Odessa, wo er viele Freunde hat und mit seinem Hilfsprojekt humanfrontaid.org Ukrainerinnen und Ukrainern hilft, Richtung Moldawien und weiter zu fliehen. Sein Hotel liegt rund 15 Kilometer von der Einschlagstelle entfernt.

«Ich wollte gerade schlafen gehen, als es heftig knallte», erzählt er Blick. «Es war eine massive Detonation, viel stärker als die Bomben, die ich schon erlebt habe.» Margot sprang auf und eilte zur Rezeption hinunter, wo er sich über den Einschlag informierte. Offenbar war es den Ukrainern gelungen, eine zweite Bombe rechtzeitig abzufangen.

Draussen standen Securitys mit Maschinengewehren. «Ich sah den Schmerz in ihren Augen», sagt Margot. Weil es meistens nach einem Bombeneinschlag ruhig bleibt, ging Margot an die Bar. «Nach jeder Bombe gönne ich mir ein Bier. Bei dieser Detonation aber brauchte ich einen Whisky.»

Als das Signal zur Entwarnung kam, kehrte er ins Zimmer zurück. Immer wieder schaute er aufs Handy, ob es einen Alarm gab oder sich Kollegen meldeten. Zumindest reichte es noch für einige Stunden Schlaf.

Odessa für Putin wichtig

Die ukrainischen Behörden befürchten, dass nun auch Odessa ein massiver Angriff bevorsteht. Wegen vieler Aufklärungsdrohnen und der starken Präsenz der russischen Marine erwarten sie sogar eine Landeoperation.

Für Putin ist Odessa strategisch wichtig, weil er durch die Eroberung praktisch den ganzen Süden der Ukraine beherrschen und sich Zugang zu den prorussischen Separatisten in Transnistrien verschaffen könnte. Transnistrien ist eine Region in Moldawien.

Mit der Einnahme von Odessa würde Russland der Ukraine den wichtigsten Hafen wegnehmen. Ein Grossteil der Exportprodukte wie Weizen und Mais wird über Odessa ausgeführt. Mit der Eroberung der Stadt fiele den Russen auch die ukrainische Marine in die Hände.

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Raketen allein reichen nicht

Allerdings braucht es für die Eroberung Odessas eine komplexe militärische Operation. ETH-Militärexperte Mauro Mantovani (58) sagt zu Blick: «Ein Fernbeschuss reicht nicht aus. Es braucht eine Bodenoffensive von Cherson über Mikolajew sowie allenfalls auch aus Transnistrien heraus, möglicherweise unterstützt durch eine amphibische Landung von See.»

Nachdem aber die russische Kampfkraft am Boden und zur See in den letzten Wochen empfindlich geschwächt worden sei, halte er eine Offensive Richtung Odessa für unwahrscheinlich. Mantovani: «Die nötigen Verstärkungen sind schlicht nicht vorhanden. Zudem kann ein zweites, noch grösseres Mariupol nicht im russischen Interesse liegen.»

Margot bleibt in Odessa

Am Dienstag besuchte Bänz Margot das humanitäre Hilfszentrum, wo die Leute Schlange standen, um Essen, Windeln und andere Alltagssachen zu ergattern. Der Berner erwartet, dass nach den Raketenangriffen die Nachfrage nach Plätzen in den von ihm organisierten und finanzierten Cars ansteigen wird. Am Dienstagmittag fuhren drei Cars mit rund 80 Personen in Richtung Moldawien ab.

Margot will seine Arbeit in Odessa weiterführen. «Mit einer Bombe täglich kann ich noch leben, aber wenn es dann intensiver wird, muss ich schauen, dass ich wegkomme.»

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