Trotz drohender Folter und eisiger Kälte ist der Putin-Kritiker noch zum Spassen aufgelegt
So brutal ist Nawalnys neues Straflager am Polarkreis

Nach drei Wochen Ungewissheit steht fest: Alexei Nawalny ist am Leben. Er wurde auf Umwegen in ein Straflager am Polarkreis verlegt. Ehemalige Gefangene erinnern sich mit Schaudern an das Gefängnis.
Publiziert: 26.12.2023 um 17:42 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2023 um 08:34 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Familie und Freunde von Alexei Nawalny (47) atmen auf. Der Putin-Kritiker ist am Leben. Er ist in den letzten Wochen vom Straflager IK-6 in Melechowo bei Wladimir ins Straflager IK-3, auch «Polarwolf» genannt, nördlich des Polarkreises verlegt worden.

Von Nawalny, auf den 2020 ein Giftanschlag verübt wurde und der nach seiner Rückkehr nach Russland zu einer langjährigen Strafe im Straflager verurteilt worden war, hatte es drei Wochen lang kein Lebenszeichen gegeben.

Im neuen Lager in Charp im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen – rund 2000 Kilometer von Moskau entfernt – erwartet Nawalny die Hölle. Nawalnys Verbündeter Iwan Schdanow bezeichnete IK-3, das 1961 auf dem Gelände eines ehemaligen sowjetischen Gulag-Zwangsarbeitslagers gegründet wurde, als «eine der nördlichsten und abgelegensten» Gefangenenkolonien in Russland. Hier können bis 1050 Menschen inhaftiert werden. Schdanow: «Die Bedingungen dort sind brutal.»

Entkommen unmöglich: Das Straflager IK-3 in Charp, auch «Polarwolf» genannt.
Foto: keystone-sda.ch
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Entkommen praktisch unmöglich

IK-3 hat immer als Kolonie für «besonders gefährliche Wiederholungstäter» fungiert, schreibt die unabhängige «Moscow Times». Das Wetter ist klirrend kalt und rau. Ein Entkommen ist praktisch unmöglich: Auf der einen Seite liegen Hunderte von Kilometern Tundra, auf der anderen die Berge des Polarurals. Nächste Woche werden minus 28 Grad erwartet.

Ehemalige IK-3-Häftlinge berichten von einer physischen und psychischen Brutalität. Es fehle auch an Kleidern, zum Teil würden nur ein Paar Winterstiefel und ein abgenutzter Anzug abgegeben. Teilweise würden die Gefangenen in Zellen ohne Tageslicht und warmem Wasser gehalten. Einige beschuldigen die Gefängniswärter der Folter.

Brutale «Begrüssung»

Ein Verurteilter berichtete, wie Neuankömmlinge «begrüsst» würden: «Wenn die Gefangenen die Kolonie betreten, werden sie in das Badehaus gebracht. Wenn eine Person sich auszieht und sich waschen will, wird das Wasser abgestellt, und maskierte Personen kommen herein und beginnen, dich zu schlagen.» Rund 15 Personen – sowohl Häftlinge als auch Angestellte – hätten eine halbe Stunde auf ihn eingedroschen, so der Ex-Gefangene.

Nawalnys Team und Aktivisten bringen seine Verlegung mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 17. März in Verbindung, bei denen Präsident Wladimir Putin (71) aller Voraussicht nach wiedergewählt wird, und bezeichneten sie als einen Versuch, «den Oppositionspolitiker zu isolieren».

Nawalny mit Bart

Trotz der strengen Haftbedingungen ist Nawalny – zumindest jetzt noch – zum Scherzen aufgelegt. Auf X liess er schreiben, dass er sich in den vergangenen 20 Tagen einen Bart habe wachsen lassen und nun dem Weihnachtsmann gleiche. «Ihr wundert euch wohl wegen der Geschenke. Aber ich bin ein Sonder-Weihnachtsmann, daher bekommen nur jene Geschenke, die sich schlecht benommen haben.»

Leider habe er keine Rentiere und könne auch die Umgebung nicht beschreiben, da er das Lager nicht von aussen gesehen habe und er von seiner Zelle aus praktisch nur den Zaun erblicken könne. Nawalny: «Und ich sah einen Konvoi, nicht wie in Zentralrussland, sondern wie in den Filmen – mit Maschinengewehren, warmen Handschuhen und Filzstiefeln. Und mit denselben schönen, flauschigen Schäferhunden.»

Auf Umwegen in die Hölle

Die 20 Tage Transport hätten ihn unter grösster Vorsicht auf Umwegen über Wladimir, Moskau, Tscheljabinsk, Jekaterinburg, Kirow und Workuta nach Charp geführt. «Die 20 Tage meines Transports waren ziemlich anstrengend, aber ich bin immer noch gut gelaunt, wie es sich für einen Weihnachtsmann gehört.»

Er sei sehr überrascht gewesen, als sich am Montag die Zellentür geöffnet habe und jemand gesagt habe: «Ein Anwalt ist hier, um dich zu sprechen.» Dieser habe ihm gesagt, dass sich alle Sorgen um ihn machen würden. Nawalny: «Vielen Dank für eure Unterstützung!»

Er habe nicht damit gerechnet, dass ihn jemand vor Mitte Januar finde. «Mir geht es gut», schrieb er. «Ich bin heilfroh, dass ich endlich angekommen bin.» Ob er das nach der Begrüssung im Badehaus auch noch sagen wird?


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