Tiefe Fallzahlen, hohe Kosten, viele Abweichler
Merkel kann Corona, aber sie verliert das Volk

Im internationalen Vergleich kann Deutschland mit akzeptablen Corona-Zahlen aufwarten. Die Regierung sieht es anders – und hat das Land in einen zweiten Lockdown geschickt. Ein Ende der Auflagen ist erst mal nicht in Sicht. Koste es, was es wolle.
Publiziert: 27.11.2020 um 07:54 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2020 um 14:16 Uhr
Daniel Riedel

Von aussen betrachtet, scheint die Welt beim grossen Nachbarn in Ordnung: Gestern vermeldete das Robert-Koch-Institut 22'268 Neuinfektionen und knapp 292'000 aktive Corona-Fälle. Keine schlechten Werte – schon gar nicht für ein 83-Millionen-Land. Trotz der guten Zahlen befindet sich Deutschland weiter in einem eisenharten Lockdown: Hotels, Bars und Restaurants sind seit Anfang Monat dicht. Private Treffen wurden auf ein Minimum beschränkt. Die Bevölkerung nahm die Auflagen stillschweigend hin – und hoffte aufgrund der humanen Pandemie-Entwicklung auf erste Lockerungen.

Die Rechnung wurde ohne die Regierung gemacht. Mit eiserner Hand paukte Bundeskanzlerin Angela Merkel (66, CDU) mit den 16 Bundesländer-Chefs für den Dezember weitere Verschärfungen durch. Tenor der Deutschen: «Das ist ja eine schöne Bescherung!» Zu Hause dürfen sich neu nur noch fünf Personen treffen – immerhin zwischen Weihnachten und Neujahr sollen zehn erlaubt sein. Damit nicht genug: Auch der Einzelhandel wurde weiter beschnitten. Auf zehn Quadratmetern darf nur noch ein Kunde empfangen werden. Schlangen vor Supermärkten sind im Adventsshopping vorprogrammiert.

Harte Massnahmen, unzählige Beschränkungen

Auch den Unternehmen haut man auf die Finger. Wunsch der Regierung: Betriebsferien zwischen den Jahren. Und wenn die Angestellten doch arbeiten, dann bitte nur in «grosszügigen Homeoffice-Lösungen». Sogar die Schulen machen früher zu. Die Weihnachtsferien werden bundesweit auf den 19. Dezember vorgezogen. Ziel hier: Eine Quasi-vor-Quarantäne der Schüler soll hohe Fallzahlen zum Fest verhindern. Und selbst der Bahn wurde ein Corona-Fahrplan auferlegt: mehr Züge, mehr Waggons und nur noch buchbare Fensterplätze.

Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte ihre Corona-Politik gestern auch im Bundestag.
Foto: DUKAS
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Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte gestern die Massnahmen im Bundestag und bestätigte, dass die sozialen Kontakte im November um 40 Prozent zurückgeschraubt wurden. Aber: Die dringend notwendige Trendumkehr sei noch nicht erreicht worden. Gerade die hohe Zahl der Corona-Toten (15'160 ingesamt, 389 gestern) sei erschütternd: «Das muss uns mit Sorge erfüllen!»

Viel Geld, viele Proteste

Den betroffenen Branchen greift der Staat mächtig unter die Arme: Allein im November fliessen 16 Milliarden Euro an Finanzhilfen. Fast 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) macht man locker, grösstenteils in Form von Krediten und Garantien. Zum Vergleich: Die Schweiz schiesst nur 11,2 Prozent des BIP zu. Trotz der grosszügigen Corona-Hilfen hat sich in Deutschland eine militante Anti-Bewegung aufgetan. Die «NZZ» spricht schon vom «Superstaat» und schreibt: «Im Kampf gegen die Pandemie wurden zugunsten des Gemeinwohls bürgerliche Freiheiten jedes Einzelnen ausser Kraft gesetzt.» Auf unzähligen Demonstrationen wird nahezu täglich gegen die harten Massnahmen protestiert – immer öfter auch gewaltsam. Selbst in den Bundestag ist die ausserparlamentarische Bewegung schon gelangt: Auf Einladung der AfD-Fraktion konnten Corona-Skeptiker auf den Fluren Abgeordnete jagen und sie mit ihren kruden Thesen einschüchtern.

Neben der Regierung hat die Bewegung auch eine Hassfigur in der Wissenschaft: Der Virologe Christian Drosten (48) gilt als Chef-Einflüsterer der Kanzlerin und somit auch als «mitschuldig» an den harten Auflagen. Merkel lässt der Protest an ihrer Corona-Politik kalt, gestern mahnte sie zum Durchhaltewillen: «Der Winter wird enden!» Genau wie ihre Amtszeit. Spätestens im Herbst 2021 ist ihre Kanzlerschaft Geschichte. Corona sicher nicht.

Merkel von Wut-Zwischenrufen unterbrochen
1:45
Laute Rufe während ihrer Rede:AfD pöbelt im Bundestag gegen Merkel
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