«Charlie Hebdo»: Ein Prozess für die Geschichtsbücher
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Terror hinter Plexiglas
«Charlie Hebdo»: Ein Prozess für die Geschichtsbücher

Gut fünfeinhalb Jahre nach dem islamistischen Terroranschlag auf «Charlie Hebdo» wird in Paris das Urteil gegen 14 Angeklagte erwartet.
Publiziert: 15.11.2020 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 15.11.2020 um 08:07 Uhr
Camille Kündig

Seit September stehen sie vor Gericht: 14 Hintermänner des islamistischen Terroranschlags auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» in Paris. Das Urteil hätte ­eigentlich vorgestern Freitag gefällt werden sollen. Doch dann machte die Pandemie der Justiz einen Strich durch die Rechnung. Drei Angeklagte sind an Covid-19 erkrankt, der Prozess wurde unterbrochen.

Es war eine Mammutverhandlung, die sich im gläsernen Justizpalast im Norden der Stadt abspielte, mit 94 Anwälten, 200 Nebenklägern und 144 Zeugen. Die drei Attentäter ­waren von der Polizei erschossen worden. Die jetzt angeklagten Männer und Frauen sollen Waffen, Geld und Autos besorgt haben. Nach drei Beschuldigten wird weiter gefahndet; ob sie noch leben, ist unklar. Die Angeklagten sassen in Glasboxen. Im Saal herrschte Maskenpflicht. Gerichtszeichner skizzierten Augen voller Tränen und Wut.

Im Januar 2015 hatten die Terroristen 17 Menschen getötet. In der Redaktion von «Charlie», im ­Pariser Vorort Montrouge und in ­einem ­koscheren Supermarkt. Der Anschlag gilt als Auftakt einer Serie von Terrorakten. Nur wenige Mo­nate später kam es zum Angriff auf den Konzertsaal Bataclan, das ­Stade de France und Pariser Bars: Am 13. November 2015 wurden 130 Menschen erschossen.

Im Pariser Justizpalast im Norden der Stadt läuft seit zweieinhalb Monaten eigentlich der «Charlie Hebdo»-Prozess.
Foto: AFP
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Gedenkfeiern für Bataclan-Opfer

Das Massaker vom Bataclan jährte sich am Freitag zum fünften Mal. Paris erlebte in den vergangenen ­Tagen gleich mehrere Gedenkfeiern.

Vom Gerichtsurteil zu «Charlie Hebdo» erwarteten viele eine Antwort des Rechtsstaats und der Demokratie auf blinde Gewalt, vielleicht auch den Abschluss eines dunklen Kapitels der französischen Gegenwart. Doch der Prozess fällt in eine Zeit, in der die Grande Nation abermals vom Terror heimgesucht wird. Bei Anschlägen in den vergangenen Wochen starben mehrere Menschen. Man wird das Gefühl nicht los, dass wieder alles von vorne beginnt. Oder nie aufgehört hat.

Die Redaktion von «Charlie» schickte für eine tägliche Chronik den Romancier Yannick Haenel zum Prozess. Er schreibt: «Während wir uns bemühen, der Gewalt eine gerechte Strafe zu erteilen und abzuschliessen, kommt sie in ihrer (…) brutalsten Form wieder zum Vorschein.» Er sieht Parallelen zur Pandemie: «Das Virus trifft uns genauso wie der Islamismus in unserer Lebensweise und es bedroht uns mit dem Tod.»

Gerüche von Schiesspulver und Blut

In seiner Chronik berichtet Haenel, wie Überlebende vom metal­lischen «Klick, Klick» beim Laden der Kalaschnikows erzählen, vom Geruch von Schiesspulver und Blut, von Maryse Wolinski, der Witwe der Karikaturistenlegende Georges, die wissen will, ob ihr Mann ge­litten hat. Der Prozess soll offene Fragen klären. Wer hat den Befehl ge­geben? Wie gelangen Dschihadistenlehrlinge an Kriegswaffen? Wussten die Angeklagten über die ter­roristischen Pläne Bescheid? Sie bestreiten es.

Morgen Montag soll der Prozess wiederaufgenommen werden, man rechnet mit fünf weiteren Verhandlungstagen. Ein Urteil dürfte in den kommenden zwei Wochen folgen. Für die Angehörigen und Überlebenden steht Wesentliches auf dem Spiel. Sie erwarten Auf­klärung. Eine gerechte Strafe. Ein Symbol, nicht zuletzt eines für die Meinungsfreiheit.

Es wäre ein schönes Geschenk zum 50. Gründungsjahr der Satirezeitschrift. Doch trotz dieser Hoffnung wird die Justiz wohl nicht alle Erwartungen erfüllen können.

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