Täter beim Wildern erwischt
Deutsche Polizisten mit Jagdgewehr und Schrotflinte erschossen

Bei einer Verkehrskontrolle in Deutschland wurden zwei Beamte getötet. Mittlerweile ist ein Tatverdächtiger gefasst: der 38-jährige Andreas S. Auch eine zweite Person wurde verhaftet. Am Dienstag informierten die Behörden über den Einsatz.
Publiziert: 31.01.2022 um 08:24 Uhr
|
Aktualisiert: 03.02.2022 um 11:48 Uhr

Nach den tödlichen Schüssen auf zwei junge Polizisten in der Pfalz sprechen die Ermittler von einem «verstörenden» Verbrechen: Die mutmasslichen Mörder wollten offenbar Jagdwilderei vertuschen. Seit Dienstag sind die 32 und 38 Jahre alten Saarländer wegen Verdachts auf gemeinschaftlichen Mord und Wilderei in Untersuchungshaft, wie Polizei und Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz in Kaiserslautern mitteilten. Der Ältere habe sich bisher nicht zur Sache geäussert; der Jüngere die Wilderei eingeräumt sowie Polizeikontrolle und Schüsse geschildert. «Er hat aber bestritten, selbst geschossen zu haben», sagte Oberstaatsanwalt Stefan Orthen.

«Im Moment gehen wir davon aus, dass mindestens zwei Waffen verwendet wurden», sagte Orthen. «Und wir gehen auch davon aus, dass diese zwei Waffen von den beiden Beschuldigten genutzt wurden, also, dass jeder geschossen hat.» Bei den Verdächtigen wurde ein grosses Waffenarsenal sichergestellt. Wie aus Sicherheitskreisen verlautete fand die Polizei bei einer Hausdurchsuchung im saarländischen Spiesen-Elversberg fünf Kurzwaffen, ein Repetiergewehr, zehn weitere Langwaffen, eine Armbrust sowie einen Schalldämpfer und Munition. Im Haus des zweiten Tatverdächtigen seien zwei Langwaffen entdeckt worden, hiess es.

Hinweise auf eine politisch motivierte Tat oder etwa Verbindungen in die sogenannte Reichsbürgerszene gibt es nach Angaben der Ermittler nicht. Ein Haftgrund sei auch eine mögliche Fluchtgefahr, die wirtschaftlichen Verhältnisse seien «alles andere als geordnet», die sozialen Verhältnisse «eher brüchig».

Einer der beiden Tatverdächtigen am Dienstag vor dem Landgericht in Kaiserslautern.
Foto: keystone-sda.ch
1/17

Keine Vorbestrafungen


Die beiden Verdächtigen seien nicht vorbestraft. Der 38-Jährige sei der Polizei aber früher bereits wegen Jagdwilderei und Verkehrsunfallflucht aufgefallen, sagte Kriminaldirektor Frank Gautsche. Zudem werde im Saarland im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren gegen ihn ermittelt – und womöglich gebe es weitere Ermittlungsverfahren, zu denen aber noch keine Details genannt wurden. Der 32-Jährige war der Polizei wegen Betrugsdelikten bekannt. Es gebe Hinweise, dass beide gewerblich und professionell gewildert hätten. Den beiden Männern drohe lebenslange Haft wegen gemeinschaftlichen Mordes, sagte Orthen. Auf die - den Ermittlungen zufolge - vertuschte Straftat, besonders schwere Wilderei, stünden drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe.

Der Vorfall passierte im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz auf der Kreisstrasse 22 im Landkreis Kusel, wie das Polizeipräsidium Westpfalz in Kaiserslautern mitteilte.

Unter dringendem Tatverdacht steht Andreas S.* (38). Er soll die tödlichen Schüsse auf die Polizisten abgegeben haben. Seine Ausweispapiere wurden gemäss verschiedenen Medienberichten am Tatort gefunden. Andreas S. stammt aus Spiesen-Elversberg, einem Ort in der Region.

Mutmasslicher Täter bereits früher auffällig

Am frühen Montagabend kann die Polizei den ersten Tatverdächtigen festnehmen. Es soll es sich um Andreas S. handeln. Er stellte sich der Polizei, nachdem sie öffentlich nach ihm gefahndet hatte. Der Verdächtige sei vor einem Haus im saarländischen Sulzbach festgenommen worden, berichtete ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. Am Dienstag wurde der Mann dem Haftrichter vorgeführt, Aussagen machte er laut Polizei zunächst nicht.

Wie die Deutsche Presse-Agentur weiter aus Sicherheitskreisen erfuhr, war S. in der Vergangenheit wegen Unfallflucht aufgefallen. Der Mann soll eine Waffenerlaubnis haben. Er besitzt in der Region einen Handelsbetrieb mit Wildfleisch und eine Bäckerei, die allerdings pleite gegangen ist.

Hier wird die Strasse abgesperrt
0:53
Zwei Verdächtige festgenommen:Hier wird die Strasse abgesperrt

«Er hat immer geschrien»

Der tatverdächtige Andreas S. sei ein «unfreundlicher» und «strenger Chef» gewesen, sagt eine ehemalige Angestellte seines Betriebs gegenüber «Focus». «Er hat immer geschrien, wenn ihm etwas nicht gepasst hat.» Als das Fahndungsbild veröffentlicht worden sei, habe sie ihn sofort erkannt. «Er war ja mein Chef. Und ich hatte immer Probleme mit ihm.»

Der 38-Jährige sei verheiratet und habe vier Kinder, so die Angestellte weiter. In seinem privaten Umfeld habe sich ihr Chef ganz anders verhalten. «Er hat sich um seine Kinder gekümmert und sie vom Kindergarten abgeholt und sie manchmal mit in die Bäckerei gebracht.» Dass S. zwei Menschen umbringe, hätte sie ihm nicht zugetraut.

Auch eine ehemalige Kundin sagt gegenüber «Focus», sie habe S. nicht in guter Erinnerung behalten können. Er sei ein «seltsamer Mensch» gewesen. S. habe die Bäckerei «systematisch runterwirtschaften» wollen, bis er irgendwann gar nicht mehr geöffnet habe. Er habe sich gegenüber Kunden und Angestellten «äusserst schroff» verhalten.

Zweiter Täter verhaftet

Kurz nach der Verhaftung von S. schnappt die Polizei auch einen zweiten mutmasslichen Täter. In dem Haus in Sulzbach, in dem der erste Täter festgenommen wurde, wurde kurze Zeit später auch ein 32 Jahre alter Verdächtiger festgenommen. In welchem Zusammenhang er zu den Schüssen stehe, müssten die Ermittlungen ergeben.

Die Suche nach möglichen Mittätern läuft weiterhin. Im Einsatz sind laut der Polizei Helikopter, Personenspürhunde sowie Spezialkräfte der Polizei.

Polizisten starben durch Kopfschüsse

Die beiden getöteten Polizisten hätten gegen 4.20 Uhr noch selbst eine Funkmeldung absetzen können, sagte ein Polizeisprecher. Als die Verstärkung am Tatort ankam, war die 24-jährige Polizistin bereits tot. Ihr Kollege (†29) starb kurz darauf ebenfalls.

Im ersten Funkspruch berichteten die Beamten von einem gestoppten Auto, schreibt die «Bild». Im Kofferraum hätten die Polizisten totes Wild entdeckt und würden jetzt eine Kontrolle durchführen. Kurz danach folgt plötzlich der zweite hektische Funkspruch: «Die schiessen auf uns.» Dann reisst der Kontakt ab.

Wie die Zeitung schreibt, soll die Frau keine Chance gehabt haben, sich zu verteidigen. Ihre Pistole habe noch im Holster gesteckt, als man sie fand. Sie soll durch einen Kopfschuss gestorben sein. Der Täter muss völlig unvermittelt geschossen haben.

Ihr Kollege schaffte es noch, seine Waffe zu ziehen. Er schoss sein gesamtes Magazin leer, wurde dann aber ebenfalls am Kopf getroffen, bevor er sich in Sicherheit bringen konnte.

«Realer Alptraum aller Polizisten»

Die 24-jährige Frau war nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) noch in der Ausbildung. Sie hat an der Hochschule der Polizei studiert. Ihr Kollege sei ein «erfahrener, guter Polizist» gewesen, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums dem «Tagesspiegel». Beide stammten aus dem Saarland.

Die GdP sei «tief erschüttert und voller Trauer», heisst es auf der Website. «Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen und Liebsten der durch eine Gewalttat im Dienst verstorbenen Kollegen.»

Die rheinland-pfälzische GdP-Landesvorsitzende Sabrina Kunz sagt am Montagmorgen: «Wir durchleben gerade den realen Alptraum aller Polizistinnen und Polizisten!» Der GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek meint: «Wenn vermeintliche Routinekontrollen, dazu gehören auch Verkehrskontrollen, derart eskalieren und Kollegen und Kolleginnen dabei ihr Leben lassen müssen, stimmt etwas nicht in unserer Gesellschaft.» Die Angriffe auf die Polizei würden seit Jahren zunehmen.

Wie ein Polizeisprecher erklärt, waren die beiden Beamten als Zivilstreife unterwegs gewesen. Sie hätten dabei aber Uniformen getragen. Es steht noch nicht fest, warum sie das Auto angehalten hatten. «Eine Kontrollstelle war nicht aufgebaut», sagt der Sprecher. (man/zis)

*Name bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden