«Eine Mehrheit wünscht sich eine engere Zusammenarbeit mit der NATO»
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Polit-Geograf erklärt Umfrage:«Eine Mehrheit wünscht sich eine engere Zusammenarbeit mit der NATO»

So denkt die Schweiz über Krieg und Neutralität
Das Volk will aufrüsten

Die Initiative gegen den F-35 wäre heute chancenlos, Blochers Ukraine-Kurs hat keine Mehrheit, und Grünen-Wähler wollen Waffen exportieren: Das zeigt eine repräsentative Umfrage.
Publiziert: 17.04.2022 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2022 um 15:45 Uhr
Reza Rafi

Der Ukraine-Krieg stellt alles auf den Kopf. Auf einmal wollen Finnland und Schweden in die Nato. Eine Mitgliedschaft im US-dominierten Verteidigungsbündnis galt bei den Skandinaviern während Jahrzehnten als Tabu.

Auch in der Schweiz verschiebt Wladimir Putins (69) krasser Völkerrechtsbruch das politische Koordinatensystem. Wie sehr, zeigt jetzt eine repräsentative Umfrage mit 20'000 Teilnehmenden, die das Forschungsinstitut Sotomo des Politgeografen Michael Hermann (50) zusammen mit der Blick-Gruppe durchgeführt hat.

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Das Wichtigste vorab: In der Sicherheitspolitik regiert ein neues Befinden. Die Bevölkerung will aufrüsten – und eine Aussenpolitik, die sich stärker zum Westen bekennt.

Gut getarnt: Britische Militärs an einer Nato-Übung am 14. April in Estland.
Foto: DUKAS
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So spricht sich eine Mehrheit – 56 Prozent – für eine «engere Zusammenarbeit» mit der Nato aus. 55 Prozent befürworten, dass der Staat mehr Mittel in die Landesverteidigung steckt. Die viel beschworene Zeitenwende macht sich vor allem links bemerkbar: Unter jenen, die sich selber als SP-Sympathisanten einstufen, begrüssen 76 Prozent eine vertieftere Kooperation mit der Nato. Bei den Grünen-Unterstützern sind es 73 Prozent.

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Nun ist eine Nato-Zusammenarbeit noch keine Zäsur; im Rahmen der «Partnerschaft für den Frieden» etwa existieren längst gemeinsame Projekte. Doch markiert das deutliche Verdikt des links-grünen Wählersegments einen historischen Wendepunkt.

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Zur Erinnerung: Bis vor kurzem galt der Nordatlantikpakt in weiten Teilen dieses Milieus als Instrument des US-Imperialismus und Auswuchs westlich-militaristischer Aggression. Das Etikett «Transatlantiker» für USA-orientierte Zeitgenossen war in manchen Kreisen ein Schimpfwort. Medien pflegten zeitweise jeden Fax zur Staatsaffäre zu erklären, den die Bundesverwaltung einst nach Washington versendet hatte. Vor zwei Jahren galt der Verkauf von Spionagewerkzeug an westliche Partnerländer durch die Zuger Firma Crypto als Skandal des Jahres. All das scheint plötzlich ganz weit weg.

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Heute wollen 82 Prozent der Grünen-Sympathisanten und 77 Prozent der SP-Freunde eine Schweizer Beteiligung am Abwehrsystem Iron Dome («Eiserne Kuppel»). Die EU debattiert derzeit, diese Verteidigungstechnik aus Israel gegen Raketen und Artillerie zu importieren, um sich vor Russland zu schützen. Die Kosten werden auf zig Milliarden geschätzt.

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Diese neue Realpolitik kontrastiert dramatisch mit dem Pazifismus der Grünen, der Partei der Ostermärsche, deren Aufstieg einst mit dem Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss 1979, also gegen die atomare Aufrüstung Westeuropas, begann.

Die Formel «Kein Krieg!», die auf den regenbogenfarbenen Transparenten prangt, ist heute vielen zu simpel. Der Zeitgeist richtet sich nicht primär gegen Krieg, sondern gegen Russlands Demagogen Putin und die Kriegsverbrechen seiner Soldaten.

So kommt es, dass 48 Prozent der grünen Klientel Waffen in die Ukraine schicken wollen. Bei den SP-Supportern sind es immerhin 37.

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Diesen Paradigmenwechsel markierte auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (63), als er drei Tage nach der Invasion zusätzliche hundert Milliarden Euro für die Bundeswehr ankündigte. Noch zu Jahresbeginn wäre eine solche Äusserung eines Sozialdemokraten schwer vorstellbar gewesen.

Ins Bild passt umgekehrt auch, dass insgesamt nur 13 Prozent der Eidgenossen für eine Mittelkürzung ihrer Streitkräfte sind. Bei den Grünen-Sympathisanten sind es bescheidene 18 Prozent, bei der SP 23 Prozent. Diese Haltung widerspricht dem Parteiprogramm der Genossen, in dem steht: «Die SP setzt sich für die Abschaffung der Armee ein. Bis dieses Ziel erreicht ist, soll die Schweizer Armee massiv ab- und umgebaut werden.» Organisationen wie die GSoA erleben gerade schwierige Tage. Die bürgerliche Stahlhelmfraktion hat Aufwind.

Die «Stop F-35»-Initiative der Sozialdemokraten wäre heute chancenlos. 30 Prozent würden Ja stimmen, 64 Prozent Nein. Brisant: Nicht einmal bei den Umfrageteilnehmern mit SP-Präferenz hätte das Ansinnen heute eine Mehrheit: Dort sagen 47 Prozent Ja und 47 Prozent Nein.

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Das neue Sicherheitsbedürfnis führt dazu, dass die Schweizerinnen und Schweizer mit einer Mehrheit von 54 Prozent den Kauf der F-35-Kampfjets gerne vorziehen und die SP-Initiative nicht abwarten möchten.

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Die Antworten fallen indes gut schweizerisch differenziert aus: Man will enger mit der Nato gehen, doch ist eine Mitgliedschaft kein Thema. Nur 33 Prozent würden dies wollen, deutliche 62 Prozent sind dagegen.

Der Nato-Beitritt ist eine der ganz wenigen Fragen, bei denen die SVP-Anhänger mit den anderen einig sind.

Ansonsten ist die grösste Partei im Land der Sonderfall. Sie versucht mit Pauken und Trompeten, die Russland-Sanktionen zu skandalisieren, bemüht mit allen Kräften eine Neutralitätsdebatte und fällt mit prominenten «Putin-Verstehern» in den eigenen Reihen auf. Die eigene Klientel trägt den Kurs grossteils mit: gegen Sanktionen, gegen Lieferung von Schutzmaterial, gegen die Nato, aber mit 79 Prozent für Christoph Blochers (81) Initiative. Der SVP-Patron will als Wahlkampfvehikel 2023 die Neutralität in der Verfassung verankern.

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Die Mehrheit der Bevölkerung sieht es anders: 52 Prozent lehnen Blochers Volksbegehren ab. Und 58 Prozent finden nicht, dass die Schweiz mit ihren Russland-Sanktionen die Neutralität verletzt hat. 62 Prozent begrüssen ein Embargo für russisches Erdöl und Erdgas. Nur die SVP-Sympathisanten lehnen diesen Vorschlag mehrheitlich ab (67 Prozent Nein).

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Ebenso verlangen 62 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, dass der Bund Helme und Schutzwesten für die Ukrainer an die Front schickt – für eine Lockerung des rigiden Ausfuhrverbots bestünde also politisches Potenzial. Letzte Woche berichtete SonntagsBlick über entsprechende Anfragen an die Armasuisse, die abgelehnt werden mussten. Politikerinnen wie Mitte-Nationalrätin Marianne Binder (63) haben sich daraufhin für eine Aufweichung des Gesetzes ausgesprochen.

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Als politischen Gegenpol zur SVP haben sich die Grünliberalen herausgebildet: Die GLP erscheint als Partei des Internationalismus, sofern man die Positionen ihrer Sympathisanten zum Massstab nimmt. Sie sind ganz vorne, wenn es um Importstopp für Russen-Gas, europäische Sicherheitspolitik und Nato-Partnerschaft geht. Zuletzt hat sich die Partei in der Europapolitik als progressivste Kraft profiliert, indem sie als einzige geschlossen für das Rahmenabkommen einstand.

Studienleiter Michael Hermann macht auf eine weitere Verschiebung aufmerksam: «Die Jungen sind gemäss Umfrage am neutralitätsfreundlichsten. Früher waren das die Alten.» Tatsächlich sind bei den 18- bis 35-Jährigen fast die Hälfte, 46 Prozent, für mehr Zurückhaltung im Ukraine-Krieg und nur 37 Prozent für mehr Engagement, während bei den über 55-Jährigen bloss 30 Prozent mehr Neutralität wollen, 48 Prozent hingegen mehr Parteinahme wünschen.

Lange wurde spekuliert, wie nachhaltig die Covid-Pandemie die Gesellschaft prägen werde. Jetzt ist klar: Der grausame Krieg hat nach knapp zwei Monaten politisch schon mehr verändert.


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