Hier rennt eine Frau ins russische Staatsfernsehen
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Mit Anti-Krieg-Plakat:Hier rennt eine Frau ins russische Staatsfernsehen

Nach Anti-Kriegs-Protest im TV
Russische Redaktorin zu Geldstrafe verurteilt

Eine TV-Redaktorin hat das russische Staatsfernsehen gestürmt. Sie hält ein Plakat in die Kamera. Darauf zu lesen: «Kein Krieg! Glaubt der Propaganda nicht! Sie lügen euch an!» Der ukrainische Präsident bedankt sich bei ihr.
Publiziert: 15.03.2022 um 03:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2022 um 18:17 Uhr

Während im russischen Staatsfernsehen Channel One die Nachrichten im Live-TV laufen, rannte eine Mitarbeitende mit einem Plakat hinter die sprechende Moderatorin. «Kein Krieg! Glaubt der Propaganda nicht! Sie lügen euch an!», stand auf dem Plakat auf Russisch geschrieben.

Zusätzlich ruft sie «Stoppt den Krieg, kein Krieg», in die Kamera. Prompt wurde das Bild geändert und ein anderes Video gezeigt. Zuerst hiess es, die Frau sei nach der Aktion plötzlich verschwunden. Wie «CNN» nun berichtet, ist sie in Moskau wieder aufgetaucht. Ihr Anwalt hat ein Selfie mit ihr auf Telegram gepostet. Die Frau wurde inzwischen von einem Moskauer Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Erstaunlich: Denn das neue russischen Mediengesetz besagt, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von «Falschnachrichten» über das Militär vorgesehen sind.

So erklärt sie ihre Aktion

Bei der Frau handelt es sich um Marina Owsjannikowa, Redaktorin bei Channel One. Vor ihrer Aktion filmte sie eine Erklärung: «Leider habe ich die letzten Jahre bei diesem Kanal gearbeitet und mitgeholfen, Kreml-Propaganda zu verbreiten. Dafür schäme ich mich. Ich schäme mich dafür, russische Menschen in Zombies verwandelt zu haben.»

Die Journalistin ist nun wieder aufgetaucht – ihr Anwalt postete ein Bild mit ihr.
Foto: Telegram / Anton Gashinsky
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Für das Verbrechen, das sich in der Ukraine abspiele, sei allein der russische Präsident Wladimir Putin (69) verantwortlich. «Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter Russin. Sie waren nie Feinde», erklärt sie im Video.

Redaktorin in Haft - Anwalt postet Bild

Wie die russische Nachrichtenagentur Tass schreibt, kam die Journalistin wegen ihres Engagements gegen den Krieg in Haft, der Vorfall soll «untersucht» werden. Ihr drohe nun ein Verwaltungsverfahren, heisst es weiter.

Der Vorgang gilt in dem fast militärisch geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens mit kremltreuen und sehr gut bezahlten Propagandisten als beispielloser Vorgang. Von der 44-Jährigen, die in den sozialen Netzwerken am Dienstag international als mutige Heldin gefeiert wurde, fehlte nach dem Vorfall jede Spur. Anwälte der Bürgerrechtsorganisation IWD-Info hätten die Frau auch mehr als zehn Stunden nach der Protestaktion nicht kontaktieren können, schrieb der Ex-Chefredakteur des dichtgemachten Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, bei Twitter.

Der Protest sei das jüngste Beispiel einer mutigen Haltung, welche die Lügen und Propaganda des Kreml widerlege. Kremlsprecher Dmitri Peskow (54) bezeichnete den Vorfall als «Rowdytum», die Senderleitung müsse sich darum kümmern. Nicht einmal Staatsmedien kamen umhin, darüber zu berichten.

Sendung darf nicht angeschaut werden

Erst hiess es, Owsjannikowa drohe eine Ordnungsverfahren und eine administrative Strafe. Nun wird aber befürchtet, die Redakteurin und zweifache Mutter könnte auch nach einem umstrittenen neuen Gesetz belangt werden, das die Diffamierung der russischen Armee unter Strafe stellt. Wer das Ansehen von Putins Streitkräften durch vermeintliche oder reale Falschmeldungen beschmutzt, dem drohen neuerdings in Russland bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Kurz nach dem Zwischenfall wurde die Aufzeichnung der Sendung auf der Website von Channel One bereits gesperrt. «Auf Antrag des Urheberrechtsinhabers ist es verboten, diese Sendung online zu schauen», kriegt man zu lesen, wenn man auf den Beitrag klickt. Der erste russische Fernsehkanal sprach in einer Mitteilung lediglich von einem «Vorfall», bei welchem eine «Frau mit pazifistischem Plakat» die Sendung stürmte. Russische Medien schreiben, dass die Sendung «hastig wegen der Verschwörung blockiert» wurde.

Selenski dankt persönlich

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) bedankte sich in einer Ansprache persönlich bei Marina Owsjannikowa. Er sei jenen Russen dankbar, «die nicht aufhören, die Wahrheit zu sagen». Als Beispiel nannte er die Redaktorin und ihre Plakataktion.

Und auch das Lager des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny (45) bedankte sich bei ihr, nachdem sie in dem Video kritisierte, dass der Kremlgegner vergiftet worden sei. Bis heute leugnen Kreml und Russlands Staatsfernsehen, dass Nawalny 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte. Nawalny, der im Straflager sitzt und dem in einem neuen umstrittenen Prozess viele Jahre Haft drohen, hatte Putin persönlich für das Attentat mit dem verbotenen chemischen Kampfstoff verantwortlich gemacht.

Nawalnys Team kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen. Mann wolle die Strafen übernehmen, die gegen sie verhängt werden könnten, schrieb Maria Pewtschich von Nawalnys Team am Dienstag bei Twitter. Russische Journalisten dürfen nicht von Krieg sprechen, sondern nur von einer «militärischen Spezial-Operation». Da gab es noch die Hoffnung, dass es nur bei einer Geldstrafe bleiben könnte.

Macron bietet Demonstrantin «konsularischen Schutz»

Auch andere Staatsoberhäupter haben sich zu den bewegenden Szenen am Montagabend geäussert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (44) will der russischen Journalistin konsularischen Schutz bieten. «Wir leiten diplomatische Massnahmen ein, damit sie unter den Schutz der (französischen) Botschaft gestellt wird», sagte Macron am Dienstag beim Besuch einer Aufnahmestelle für ukrainische Flüchtlinge im Département Maine-et-Loire. Darüber wolle er auch «sehr direkt» bei seinem nächsten Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sprechen. «Frankreich verurteilt jede Inhaftierung von Journalisten», sagte Macron mit Blick auf die russische Fernsehredakteurin. (chs/euc/SDA/AFP)

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