«Wir sind für die Schweiz nicht das grösste Problem»
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Schwere Vorwürfe:Wie Serbien die Corona-Zahlen schön schummelte

Schwere Vorwürfe
Wie Serbien die Corona-Zahlen schön schummelte – und wie die Schweiz darunter leidet

Viel spricht dafür, dass die serbische Regierung ihre Corona-Zahlen frisiert. Trotzdem können Serben ab heute über die EU in die Schweiz einreisen. Die reagiert nun – und will eine Pflicht-Quarantäne verhängen.
Publiziert: 01.07.2020 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2020 um 10:40 Uhr
Daumen hoch gibts für die Serben ab heute auch wieder an der EU-Grenze.
Foto: AFP
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Fabienne Kinzelmann

Für die EU gilt Serbien als «coronasicher». Während etwa für US-Amerikaner, Brasilianer und Russen wegen der hohen Infektionszahlen auch weiterhin die Grenzen zur Europäischen Union dicht sind, dürfen Serben ab heute wieder in die Europäische Union einreisen.

Doch der Entscheid ist umstritten. Tagelang zoffte die EU über die Grenzöffnung für insgesamt 14 Staaten. Bedingung für die Lockerung: Das jeweilige Land muss die Ausbreitung des Coronavirus unter Kontrolle gebracht haben.

Und es gibt grosse Zweifel, dass der EU-Beitrittskandidat Serbien die Corona-Krise im Griff hat. In den vergangenen Tagen lag die Anzahl der Neuinfektionen im Balkanland (7 Millionen Einwohner) bei jeweils mehr als 200 pro Tag – Tendenz steigend. Allein gestern Dienstag waren es 276.

Hob die serbische Regierung den Lockdown zu früh auf?

Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Denn Präsident Aleksandar Vucic wird vorgeworfen, die Corona-Infektionszahlen massiv geschönt zu haben, um schnelle Lockerungen zu rechtfertigen und die Parlamentswahl durchzuführen. Den Lockdown hatte die serbische Regierung früh wieder aufgehoben und Ein- und Durchreisen bereits ab dem 22. Mai wieder ohne Einschränkungen erlaubt.

Das investigative Balkan-Reporternetzwerk «Birn» berichtet, die Infektions- und Todeszahlen seien jedoch deutlich höher gewesen als offiziell angegeben. Die Journalisten berufen sich auf einen Auszug aus der staatlichen Datenbank zu Covid-19, der ihnen zugespielt wurde.

Mehr als doppelt so viele Todesfälle

In der Zeit vom 19. März bis zum 1. Juni dieses Jahres etwa starben laut «Birn» in Serbien insgesamt 632 Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet worden waren – mehr als doppelt so viele wie die offiziell bekannt gegebene Zahl von 244 Todesfällen in diesem Zeitraum.

Insbesondere im Vorfeld der Parlamentswahl am 21. Juni – aus der Vucics nationalkonservative Partei «SNS» mit 62,6 Prozent als klarer Sieger hervorging – wurden die Zahlen offenbar ordentlich frisiert. Zwischen dem 17. und 20. Juni betrug die Anzahl der Neuinfektionen offenbar mindestens 300 pro Tag. Offiziell aber hatte die Regierung weniger als 100 Neuinfektionen pro Tag vermeldet.

Auch von anderer Seite kommt Kritik an der Corona-Politik der serbischen Regierung. Ein Epidemiologe verteidigte Tennisstar Novak Djokovic (33) nach dessen umstrittener Adria-Tour, bei der sich die Weltnummer 1 und viele seiner Kollegen mit dem Coronavirus infizierten. Djokovic sei von der serbischen Regierung reingelegt worden, sagte der Experte dem serbischen Sender «Nova»: «Er konnte sich nicht vorstellen, dass unsere Behörden ihn täuschen würden. Er hat auf Anraten der Experten und Behörden gehandelt, und sie haben ihn betrogen.»

Vucic soll an der Vertuschung mitgewirkt haben

Der wegen seines immer autoritäreren Führungsstils umstrittene Präsident weist sämtliche Kritik zurück. Bereits im April sagte er selbstzufrieden: «Wir registrieren und publizieren Daten über alle Toten – nicht so wie andere Länder, die angeben, dass Haie mehr Menschen umbringen als Corona.» Egal, ob mit oder an Corona gestorben – man sage alles der Öffentlichkeit.

Die staatlichen Stellen dementieren die «Birn»-Recherchen. Kein Wunder, sagt der Journalist Mihailo Tesic der «Deutschen Welle»: «Alle Funktionäre in Serbien sind dem Präsidenten loyal ergeben, auch Epidemiologen.» Er sieht den Staatschef in der Verantwortung: «Die Vertuschung des wirklichen Infektionsgeschehens konnte ohne Vucics Wissen nicht passieren.»

Schweiz leidet unter eingeschleppten Serbien-Fällen

Auch für die Schweiz ist die dreiste Corona-Politik der serbischen Regierung längst ein Problem. Wegen eines Partytrips junger Männer nach Serbien ist Graubünden nun ein Corona-Hotspot, 73 Personen befinden sich in Quarantäne.

Etwa 15 bis 20 Prozent der Neuinfektionen hierzulande betreffen aktuell Personen, die in die Schweiz ein- oder zurückreisen, teilte Stefan Kuster (42), Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten beim BAG, am vergangenen Donnerstag mit.

Klarer «Ranglistenführer»: Serbien. Innerhalb von nur zwei Wochen reisten sieben infizierte Personen aus dem Balkanland ein. Zur Herkunftsdestination eines weiteren eingeschleppten Falls am Wochenende nach Zürich schweigen die Behörden. Reiste das Virus auch hier von Serbien ein?

Das Problem könnte sich ab heute verschärfen. Durften bislang nur Doppelbürger beziehungsweise Schweizer oder Serben mit einer Aufenthaltsbewilligung in beiden Ländern hin- und zurückreisen, öffnet die EU-Grenzöffnung nun allen Serben Tür und Tor – und damit auch möglichen weiteren Corona-Fällen. Über den Landweg können Reisende aus Serbien über EU-Länder ohne jede Kontrolle in die Schweiz einreisen. Und auch offiziell will sich die Schweiz an die neue EU-Lockerung anpassen – frühestens jedoch am Montag, wie das Staatsamt für Migration BLICK mitteilte.

Straft die Schweiz Serbien ab?

Mögliche Sanktionen wegen der offenbar frisierten Corona-Zahlen? Bislang keine. Die Schweizer Behörden wollen allerdings angesichts der jüngsten Entwicklungen «grenzsanitarische Massnahmen» einleiten. Ein «Entry-Screening» am Flughafen mit Fiebermessen gab es bislang nur für den Corona-Hotspot Schweden.

Heute Mittwoch teilte der Bundesrat mit: Einreisende aus Risikogebieten müssen künftig in eine zehntägige Quarantäne. Welche Risikogebiete das sind, soll am Donnerstag festgelegt werden. Wie Gesundheitsminister Alain Berset jedoch durchblicken liess, wird Serbien auf der Liste stehen.

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