Taliban erobern die zweitgrösste Stadt Afghanistans
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Schweizer Pilot Daniel Juzi (53) fliegt in Afghanistan Hilfsgüter durch die Kriegszonen
«Die Taliban schneiden mir schon nicht den Kopf ab»

Daniel Juzi aus Gossau ZH bricht nächste Woche wieder ins Krisenland Afghanistan auf, wo er 17 Jahre gewohnt hat. Seine Mission: Hilfsgüter und Menschen für den humanitären Einsatz transportieren. Vor den vorrückenden Taliban hat er keine Angst.
Publiziert: 13.08.2021 um 09:38 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2021 um 09:42 Uhr
Guido Felder

Taliban, Krieg, Korruption: Für viele gilt Afghanistan als eines der schlimmsten Länder der Welt. Nicht für den Gossauer Daniel Juzi (53). Zu Blick sagt er: «Für mich ist es das schönste Land mit den freundlichsten Menschen.»

Juzi lebte mit seiner Familie von 1998 bis 2015 in Kabul, von wo aus er als Pilot der humanitären Hilfsorganisation Pactec Transporteinsätze flog sowie als Sicherheitsverantwortlicher Berufskollegen darin ausbildete, wie man Gebirgsflughäfen anfliegt. Zu seiner heiklen Mission gehörten auch Verhandlungen mit den gefürchteten Taliban, die seit dem Abzug der amerikanischen Truppen zurzeit auf Eroberungstour sind. «Ich musste sicher sein, dass ich meine Fracht ans Ziel bringen konnte, ohne in eine Schiesserei zu geraten», sagt er.

Christ verhandelt mit Taliban

Ein Pilot muss stets die Ruhe bewahren. Das tut Juzi auch, wenn er von seiner Arbeit und den Islamisten erzählt. Nein, gefährlich seien diese Verhandlungen nie gewesen. «Die Taliban schneiden einem schon nicht den Kopf ab», sagt er. Wichtig sei, dass man als Vertreter einer humanitären Hilfsorganisation neutral bleibe und Respekt bewahre – auch wenn das teilweise schwierig sei. «Wichtigen Personen muss man seine Ehrerbietung erweisen. Kleine Geschenke, wie Essen, entspannen die Situation», sagt er.

Bereit für den nächsten Einsatz: Daniel Juzi vor einer Kodiak 100 in Kabul.
Foto: Balz Fridolin Kubli
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Auch dass er gläubiger reformierter Christ sei, spiele für die Taliban keine Rolle. «Sie bleiben ruhig, wenn man sie respektiert und nicht von ihrem Glauben abbringen will. Zudem sind sie froh und steigern ihr Ansehen in der Bevölkerung, wenn sie humanitäre Hilfe zulassen. Die kommt ja auch ihren eigenen Leuten zugute.»

Die Fliegerei ist im Land, das so gross ist wie Frankreich, aber in dem Berge über 7000 Meter in den Himmel ragen, höchst anspruchsvoll. Auch die technische Unterstützung hinkt Jahre hinterher. «Wir haben sehr wenige Informationen zur Wetterlage. Wir müssen uns selber orientieren, wenn wir bei Schneefall und Nebel durch den engen Hindukusch fliegen oder eine Piste über 4000 Meter Höhe anpeilen. Ein Blick in die Wolken hilft uns dabei sehr viel.»

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Murmeli zerstörten Flugplatz

Juzi ist in seinem Job kein Draufgänger. Risiken eingehen ist verboten, wenn er mit einer Kodiak 100 in die Luft steigt. «Wir müssen immer eine Alternative kennen. Als wir einmal kurz vor der geplanten Landung erkannten, dass Murmeltiere einen Flugplatz aufgewühlt hatten, mussten wir auf einen andern Platz ausweichen.» Weil sie die Heimkehr nicht mehr schafften, mussten er und sein Pilotenschüler im Winter auch schon auf 3200 Meter übernachten und am nächsten Morgen mit grossem Einsatz die Maschine enteisen und startklar machen.

Besondere Freude macht es ihm, wenn an abgelegenen Orten Pisten eingeweiht werden können. «Es ist sehr eindrücklich zu sehen, wie die Vertreter der lokalen Behörden strahlen, wenn sie realisieren, dass sie nun an die grosse Welt angebunden sind und sie die humanitäre Hilfe direkt erreicht», sagt Juzi.

Zu Juzis Grundsätzen gehört: Wrong time, wrong place. Man müsse sowohl die Einsätze als auch das Privatleben immer so planen, dass man nie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sei. Das heisst zum Beispiel: Nie hinter einem Militärkonvoi fahren, sich nie zu lange in einer Botschaft aufhalten und Restaurants mit Ausländern meiden. Juzi: «Das sind alles beliebte Anschlagsziele.»

Finnin geheiratet

In einem Sprachkurs in Kabul lernte Juzi (dessen Vater Tropenarzt in Thailand war) seine Frau kennen. Tiia (53) ist Finnin und arbeitete in Afghanistan für eine andere Hilfsorganisation. Die beiden sind heute Eltern von Lukas (18) und Matteo (16).

Vor sechs Jahren zogen die Juzis nach Gossau ZH, um den Söhnen eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. Es war ein Kulturschock. Besonders wundert sich Juzi über die «Erstweltprobleme», die man sich hier selber macht. «Warum kann man sich darüber aufregen, dass man wegen Corona nun ein Jahr nicht in die Ferien reisen konnte?», fragt sich Juzi.

Afghanistan lockt noch immer

Seit der Rückkehr in die Schweiz reist Juzi jährlich ein- bis zweimal nach Afghanistan, um Einsätze zu fliegen. Das letzte Mal war das Anfang 2020, kurz vor Ausbruch der Pandemie. Bereits ist er wieder am Packen: Nächste Woche will er wieder nach Kabul abreisen.

Angst hat er auch nach dem rasanten Vormarsch der Taliban nicht. «Man muss die Zusammenarbeit mit ihnen jetzt einfach neu evaluieren und die Erlaubnis für unsere Einsätze einholen», ist Juzi zuversichtlich.

Jetzt, wo die Söhne erwachsen werden, könnten er und seine Frau es sich sogar vorstellen, wieder definitiv in Afghanistan zu leben. «Das Thema Afghanistan ist für uns nicht abgeschlossen.» Denn: «Es ist ein wunderschönes Land!»

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