Schulden, Vatikan-Krach, Euro-Parallelwährung
Was hat Salvini eigentlich erreicht?

Innenminister Matteo Salvini trotzt nach dem Rücktritt des Regierungschefs: Er würde «alles wieder genau so machen». Das ist die Bilanz der italienischen Populisten-Allianz.
Publiziert: 22.08.2019 um 08:54 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2019 um 10:08 Uhr
Fabienne Kinzelmann

Italiens Regierungschef Giuseppe Conte (55) rechnete am Dienstagnachmittag im Senat schonungslos mit der Politik seines Innenministers Matteo Salvini (46) ab. Anschliessend fuhr er in den Quirinalspalast, um seinen Rücktritt offiziell bei Staatspräsident Sergio Mattarella (78) einzureichen.

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte tritt zurück
1:24
Abrechnung mit Salvini:Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte tritt zurück

Mit Contes Rücktritt geht in Italien nicht nur die Arbeit der 65. Regierung seit 1946, sondern auch eine europaweit beispiellose Populisten-Allianz zu Ende. Nun richten sich alle Augen auf Staatspräsident Mattarella: Er beginnt am Mittwochnachmittag seine Gespräche mit Vertretern aller Parteien, um nach einer neuen Mehrheit im Parlament zu suchen. Letztlich geht es darum, die vom rechtsradikalen Lega-Chef Salvini gewünschten Neuwahlen im Herbst zu vermeiden.

Salvini ist mit der Regierungsarbeit zufrieden.
Foto: AFP
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Salvini würde «alles wieder genau so machen»

Salvini tobt. Er hatte auf Neuwahlen gehofft – in der sicheren Annahme, mit seiner Lega als deutlicher Gewinner hervorzugehen. Die Europawahl im Mai hatte den Abstieg seines Koalitionspartners, der Fünf-Sterne-Bewegung, deutlich aufgezeigt. Salvinis rechtspopulistische Lega ist zeitgleich zur stärksten Partei des Landes herangewachsen.

Er würde «alles wieder genau so machen», trotzte der Lega-Frontmann direkt nach Contes Rede im Senat. Doch die Bilanz seiner Koalition mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung ist eher dürftig, wie eine Analyse der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zum ersten Jahrestag der Regierung zeigt. Lediglich fünf der 15 zentralen Punkte aus dem Koalitionsvertrag wurden umgesetzt.

Das haben die Populisten erreicht

  1. Bürgereinkommen
    Eine Grundsicherung, die dem deutschen Arbeitslosengeld Hartz IV ähnelt. Wurde im April eingeführt und ist das teuerste Wahlversprechen der Fünf-Sterne-Bewegung.
     
  2. Rentenreform
    Ebenfalls im April eingeführt. Die Rente kann nun beantragt werden, wenn die Summe aus Lebensalter und Beitragsjahren 100 ergibt. Von der Regelung profitieren laut der KAS-Analyse vor allem Männer zwischen 62 und 64.
     
  3. Kürzung der Pensionsansprüche für Parlamentarier
    Italiens Abgeordnete gehörten lange zu den Spitzenverdienern unter ihren europäischen Kollegen. Das ist seit gut einem Jahr vorbei: Schon kurz nach Amtsantritt setzte Contes Kabinett ein altes Wahlversprechen der Fünf-Sterne-Bewegung um und kürzte die Leibrente der Alt-Parlamentarier.
     
  4. Reduzierung von Flüchtlingsbooten
    Salvini erschwerte es privaten Rettungsschiffen zunehmend, in Italien anzulegen. Mit einem «Sicherheitsdekret» schuf er im Juni eine gesetzliche Grundlage, um private Seenotretter zu kriminalisieren. Trauriger Höhepunkt: die dreiwöchige Irrfahrt der Sea-Watch 3, die mit einer Verhaftung der Kapitänin Carola Rackete endete.
     
  5. Durchsetzung von Normen zur Korruptionsbekämpfung
    Ende 2018 stimmte die Abgeordnetenkammer endgültig einem neuen Antikorruptionsgesetz zu. Das setzt als Strafe für Bestechende wie Bestochene zum Beispiel das lebenslange Verbot fest, Sportveranstaltungen zu besuchen. Ausserdem verbietet das Gesetz, mit der öffentlichen Verwaltung Verträge zu schliessen.

Hier haben die Populisten versagt

  1. Konsequente Rückführung von Flüchtlingen
    Die versprochene Rückführung von 100'000 Migranten blieb aus. Die finanziellen Mittel dafür wurden zusammengestrichen, und es gibt keine neuen Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern. Salvini setzte auf Abschottung statt Diplomatie.
     
  2. Flat-Tax
    Die Populisten wollten das komplizierte Steuersystem und die hohe Steuerlast – weswegen auch zunehmend Rentner aus dem Stiefelstaat abwandern – mit einer «Flat-Tax» in den Griff bekommen.
     
  3. Wirtschaftlicher Aufschwung
    Laut dem italienischen Rechnungshof wirken sich weder die Rentenreform noch das Bürgereinkommen positiv auf die italienische Wirtschaft aus. Stattdessen wächst der Schuldenberg. Die Staatsverschuldung wuchs im vergangenen Jahr um insgesamt 71 Milliarden Euro. Die EU hat mittlerweile erste Schritte für ein Defizitverfahren eingeleitet.
     
  4. Krach mit dem Vatikan
    Dass Salvini Religion gern für politische Zwecke missbraucht, schmeckt der katholischen Kirche nicht. Kardinäle und Bischöfe positionieren sich offen gegen den stramm rechten Kurs des Lega-Chefs. Ein Höhepunkt der Konfrontation mit dem Vatikan: Italienische Klarissenschwestern, für die das Schweigegelübde oberstes Gebot ist, protestierten mit einem Transparent an ihrem Zaun gegen den zunehmenden Hass in der Gesellschaft. Auf einem besprühten Betttuch zitierten sie das Wort Jesu: «Das habt ihr mir getan» – was Christen ihren bedürftigen Mitmenschen geben oder nicht geben, tun sie Christus selbst an.
     
  5. Euro-Parallelwährung
    Im Frühjahr segnete das Parlament eine explosive Idee ab. Sie erlaubt es dem Staat, einen Teil seiner Ausgaben gegenüber italienischen Unternehmen mit neuartigen Schuldscheinen zu begleichen. In diesen «Mini-Bots» sehen Finanzexperten einen möglichen Schritt zur Einführung einer Parallelwährung zum Euro.

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