Samuel Schumacher in Israel
So erlebt der Blick-Reporter den Start der israelischen Bodenoffensive

Israel ist in den Gazastreifen eingerückt und weitet die gefürchtete Bodenoffensive aus. Das Ziel: Die Hamas zerstören, die über 230 Geiseln befreien. Blick-Reporter Samuel Schumacher (36) berichtet, wie er die Menschen in Israel und den Start der Offensive erlebt.
Publiziert: 29.10.2023 um 19:34 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2023 um 09:49 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Jetzt geht sie los, die seit Wochen angekündigte und von 2,3 Millionen Menschen in Gaza gefürchtete Bodenoffensive. «Unsere Bodentruppen haben die Tore von Gaza durchschritten und stehen vor der Festung des Bösen», sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (74) am Samstagabend.

Mehr als 450 Ziele haben die israelischen Streitkräfte am Wochenende in Gaza beschossen. Das Ziel sei klar, sagte Netanjahu: «Wir wollen die Hamas zerstören und die Geiseln zurückholen.» Mehr als 220 Menschen werden von den Terroristen in Gaza derzeit festgehalten.

Ein komplett zerstörtes Dorf

Am Freitagmittag stand ich in Kfar Aza, einem von Hamas-Terroristen überfallenen und komplett zerstörten Dorf keine anderthalb Kilometer von Gaza entfernt. 62 Menschen wurden hier ermordet, 17 als Geiseln entführt. Jetzt haben israelische Elite-Kämpfer im kaputten Kibbuz Stellung bezogen. Die Armee schoss im Minutentakt mit Artilleriegeschossen ganz aus der Nähe gegen Hamas-Stellungen in Gaza. Kampfjets donnerten durch den bewölkten Himmel. 

«Unsere Bodentruppen haben die Tore von Gaza durchschritten und stehen vor der Festung des Bösen», sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (74).
Foto: AFP
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In der Nacht auf Samstag weckte mich das donnernde Geräusch der israelischen Militärflieger auch in meinem Hotelzimmer in Nazareth im Norden Israels. Von der nahen Airforce-Basis aus fliegt Israel immer wieder Angriffe auf Syrien und die Hisbollah-Stellungen im Süden Libanons.

«Die Familie wollte an ein Kite-Festival – dann wurde sie ermordet»
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Krieg im Kibbuz Kfar Aza:«Familie wollte an ein Festival, dann wurde sie ermordet»

Viele Opfer auf beiden Seiten

Und auf dem Weg nach Eilat ganz im Süden des Landes sah ich am Sonntag zahlreiche schwere Militärtransporter, die Panzer und anderes Kriegsgerät verschoben. Gefühlt jeder zweite Israeli an Tankstellen und in den Cafés hat ein Gewehr umgehängt. Überall wehen die blau-weissen Fahnen. Junge Soldaten und Soldatinnen (in Israel gilt die Wehrpflicht auch für Frauen) stehen an jeder Strassenecke.

Mindestens 1400 Israelis und wohl über 7700 Palästinenser wurden in den ersten drei Wochen des neuen Krieges im Nahen Osten bislang getötet. In Kfar Aza erzählte mir der hochrangige israelische Offizier Golan Vach (49), er habe eigenhändig geschändete Frauen- und eine geköpfte Baby-Leiche aus den Trümmern des Kibbuz rausgeholt. Aus Gaza hörte ich in den vergangenen Tagen Horrorstorys von wimmernden Kindern, die unerreichbar unter den Trümmern zerbombter Häuser um ihr Leben kämpften.

Buben verschleppt

Auf einen neuen Krieg hat hier niemand gewartet. Die Menschen hier in Israel wollen als Erstes: «Dass unsere Geiseln freikommen. Das ist das Einzige, was zählt.» So sagte mir das Renana Gomeh-Jacob (50) am Sonntag in Eilat. Ihre beiden Buben, 12- und 16-jährig, wurden am 7. Oktober von der Hamas nach Gaza verschleppt. Sie hat seither nichts mehr von ihnen gehört. 

Die politische Grosswetterlage spitzt sich derzeit weiter rasant zu. Saudi-Arabien warnt Israel offiziell davor, die Bodenoffensive in Gaza auszuweiten. Und Irans Präsident Ebrahim Raisi (62) donnerte am Sonntag, Israel habe «eine rote Linie» überschritten. Sein Land müsse jetzt handeln.

Was mein Kontakt in Gaza, mit dem ich fast täglich im Austausch stand, zur all dem zu sagen hätte, weiss ich nicht. Ich konnte ihn am Wochenende nicht mehr erreichen.

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