Hier heulen die Sirenen in Mitrovica
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Spannungen im Kosovo:Hier heulen die Sirenen in Mitrovica

Reisepässe von Serben nicht mehr anerkannt
Barrikaden und Schüsse im Norden des Kosovos

Angespannte Lage im Kosovo. Ab Mitternacht anerkennen die kosovarischen Behörden keine serbischen Personaldokumente mehr. Serben benötigen für die Einreise ein provisorisches Dokument. Belgrad schäumt, auch Russland schaltet sich ein.
Publiziert: 31.07.2022 um 23:27 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2022 um 18:12 Uhr

Im überwiegend serbisch bevölkerten Norden des Kosovos um Mitrovica haben militante Serben am Sonntag Barrikaden errichtet. Unbekannte hätten ausserdem Schüsse in Richtung kosovarischer Polizisten abgegeben. Verletzt worden sei dabei niemand, teilte die Polizei in Pristina am späten Sonntagabend mit.

Zu den Spannungen kam es, weil die kosovarischen Behörden ab Montag (00.00 Uhr) an den Grenzübergängen keine serbischen Personaldokumente mehr anerkennen. Serben mit derartigen Papieren müssen sich an der Grenze ein provisorisches Dokument ausstellen lassen.

Zudem sollten neue Regeln für die Nummernschilder von Autobesitzern gelten. Serbische Nummernschilder sollen im Kosovo nicht mehr erlaubt sein, stattdessen hätten einreisende Fahrzeuge aus Serbien an der Grenze kosovarische Kennzeichen montieren sollen. Der Streit um die Nummernschilder führte bereits im vergangenen Herbst zu Spannungen zwischen den beiden Ländern, an der gemeinsamen Grenze fuhren Panzer auf. Erst nach einigen Tagen konnten sich die Regierungen einigen.

Angespannte Lage im Nordkosovo
Foto: Screenshot Le Canton 27
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Kosovarische Retourkutsche

Im Rahmen der sogenannten Reziprozität beruft sich die kosovarische Regierung auf das Prinzip der Gegenseitigkeit. Bürger aus dem Kosovo müssen sich schon seit längerer Zeit beim Grenzübertritt nach Serbien ein provisorisches Dokument ausstellen lassen, weil die serbischen Behörden die kosovarischen Papiere nicht anerkennen. Zudem müssen Kosovaren ein serbisches Nummernschild montieren.

Die Sicherheitslage sei angespannt, teilte auch die Nato-Mission Kfor am Abend mit. Sie beobachte die Situation genau und sei gemäss ihrem Mandat «bereit, einzugreifen, sollte die Stabilität gefährdet sein.»

Das heute fast ausschliesslich von Albanern bewohnte Kosovo hatte früher zu Serbien gehört. 2008 hatte es sich für unabhängig erklärt. Serbien erkennt die Eigenstaatlichkeit des Kosovos nicht an und beansprucht dessen Staatsgebiet für sich.

Kosovo macht Rückzieher

In einer am späten Sonntag erlassenen Erklärung machte die Regierung des kosovarischen Premiers Albin Kurti (47) einen einstweiligen Rückzieher, um die angespannte Lage zu entschärfen.

In Zusammenarbeit mit internationalen Bündnispartnern, verspreche seine Regierung, die Umsetzung der neu geplanten Einreiseregeln um 30 Tage zu verschieben, teilte Kurti auf Twitter mit. Voraussetzung sei, dass alle Barrikaden entfernt und komplette Freizügigkeit wiederhergestellt werden. Kurti bestätigte auch, dass auf Polizeikräfte geschossen worden sei.

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell (75) begrüsste die Aufschiebung der Einreiseregeln. Er rechne damit, dass Strassensperren und -blockaden sofort aufgehoben würden.

«Wir werden uns dieses Jahr für die EU bewerben»
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«Entnazifizierung des Balkans»

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic (52) hatte zuvor laut dem Fernsehsender N1 erklärt, dass sich Serbien «noch nie in einer komplexeren und schwierigeren Situation befunden hat als heute». Vucic forderte alle Seiten auf, den Frieden zu bewahren, warnte aber am Sonntag: «Wenn sie den Frieden nicht bewahren wollen, dann sage ich Ihnen, dass Serbien gewinnen wird.»

Der nationalistische serbische Politiker und Talkshow-Moderator Vladimir Dukanovic (43) schrieb gleichentags auf Twitter: «Alles sieht für mich danach aus, dass Serbien gezwungen sein wird, mit der Entnazifizierung des Balkans zu beginnen.» Mit dieser Bezeichnung rechtfertigte Russland seinen Angriff auf die Ukraine im Februar.

Serbien dementierte aber, dass man mit Truppen in den Kosovo einmarschiert sei. «Serbien hat die Verwaltungslinie nicht überschritten und ist vorerst nicht in das Hoheitsgebiet von Kosovo und Metohija eingedrungen.» Auf kosovarischer Seite wird insbesondere das Wort «vorerst» als klare Drohung Serbiens gegenüber dem Kosovo angesehen.

Moskau schaltet sich ein

Aus Moskau meldete sich Marija Sacharowa (46), Sprecherin des russischen Aussenministers Sergej Lawrow (72), zur Krise: «Russland fordert Pristina und die dahinter stehenden USA und die EU auf, die Provokationen einzustellen und die Rechte der Serben im Kosovo zu respektieren.»

Daraufhin warf der Serbien-Verbündete Russland dem Kosovo «Provokationen» vor. «Eine solche Entwicklung der Ereignisse ist ein weiterer Beweis für das Scheitern der Vermittlungsmission der Europäischen Union», so Sacharowa.

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Laut dem in der Schweiz publizierten Kosovo-Portal «Le Canton 27» blockieren Serben Strassen im Gebiet, um die Diaspora daran zu hindern, nach den Sommerferien in die Schweiz und in EU-Länder zurückzukehren. Hunderte kosovarische Polizisten stünden an der Grenze zu Serbien positioniert, Alarmsirenen seien wie in Kriegszeiten zu hören. (kes/zis/SDA)

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