Gebrandmarkt – Ein Leben lang
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Rassismus in den USA
Gebrandmarkt – Ein Leben lang

Trotz Gleichberechtigung auf dem Papier kämpfen Schwarze in den USA noch immer gegen Rassendiskriminierung und für Gerechtigkeit – sie tun es seit Jahrhunderten.
Publiziert: 06.06.2020 um 23:25 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2020 um 11:04 Uhr
In den USA sind nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd die grössten Proteste in der Geschichte ausgebrochen. Die schwarze Bevölkerung fordert Gerechtigkeit und Gleichberechtigung – auch wenn diese seit 1965 bereits auf Papier gilt. Oder gelten sollte.
Foto: keystone-sda.ch
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Valentin Rubin

Sie hiessen George Floyd (†46), Ahmaud Arbery (†25) oder Breonna Taylor (†26). Sie alle waren afroamerika­nischer Herkunft, sind Opfer rassistischer Gewalt in den USA und heute tot.

Jedes Jahr werden in den Vereinigten Staaten mehr als 1000 Menschen bei Polizeieinsätzen getötet. Überdurchschnittlich häufig trifft es Schwarze. Häufig ohne Grund. Fast nie wird ein Polizist angeklagt. Die rassistische Gewalt ist tief im System verankert.

Die Gesellschaft der USA scheint zu zerfallen. Nach Floyds Tod verbreiteten sich Proteste über das ganze Land. US-Präsident Donald Trump musste zwischenzeitlich im Bunker des Weissen Hauses Schutz suchen. Hunderttausende fordern Gerechtigkeit. Es ist die Rede von der grössten Protestbewegung in der Geschichte des Landes. Auch 155 Jahre nach dem Ende der Sklaverei gelten Schwarze oft noch als Menschen zweiter Klasse.

Unterschied trotz Gleichberechtigung

«Am Anfang stand die Sklaverei», sagt Monika Dommann, Historikerin an der Uni Zürich. «Ihr Erbe lastet schwer auf der Gesellschaft.» Dies stelle für viele Schwarze nach wie vor den entscheidenden Unterschied im Leben dar – trotz formaler Gleich­berechtigung. «Schwarze sind von Geburt an buchstäblich gebrandmarkt. Das ist das desaströse Urproblem des Landes.»

Als die Briten im 17. Jahrhundert die Neue Welt besiedeln, glauben sie, vor unbegrenzten Möglichkeiten zu stehen. In riesigen Plantagen bauten sie Baumwolle, Tabak oder Zuckerrohr an. Platz hatten sie, nur Arbeitskräfte mussten sie beschaffen. «Die Siedler liessen Sklaven aus Afrika für ihre Plantagen schuften. Sie hatten klare ökonomische Interessen», erklärt Dommann.

Mächtige Plantagenbesitzer

Die Plantagenbesitzer werden rasch wirtschaftlich mächtig, vor allem in den Südstaaten. Zwar schreibt die Unabhängigkeitserklärung der USA im Jahr 1776 Freiheit, Gleichheit und Klassenlosigkeit als zentrale amerikanische Werte fest. Doch Sklaven sind davon aus­genommen. George Washington (1732–1799), erster Präsident des Landes, sowie Thomas Jefferson (1743–1826), Hauptverfasser der Unabhängigkeitserklärung, waren selbst Sklavenhalter.

«Der amerikanische Traum basiert auf Rassismus», erklärt Monika Dommann. «Das hat sich auch mit dem Ende der Sklaverei nicht geändert.» 1865 erhalten die Sklaven ihre Freiheit und damit Bürger- und Wahlrechte. «Die Ausbeutung ging danach aber einfach weiter.» Und mit dem Ende der Sklaverei etabliert sich der militante Geheimbund Ku-Klux-Klan, der die Vorherrschaft der Weissen über die Schwarzen verewigen will.

Ohne Perspektiven, ohne Bildung

In einigen Bundesstaaten wird das Wahlrecht an einen Lesetest gekoppelt. Viele Schwarze leben in heruntergekommenen Quartieren. Ohne Perspektiven, ohne Bildung. Wählen dürfen sie daher nicht. Statt Sklaverei ist nun Rassentrennung an der Tagesordnung.

Als sich die Afroamerikanerin Rosa Parks am 1. Dezember 1955 weigert, ihren Platz im Bus einem weissen Fahrgast zu überlassen, setzt sie eine Be­wegung in Gang, mit der die längst überfällige juristische Gleichberechtigung der Schwarzen in den USA zum Programm wird.

Die Bürgerrechtsbe­wegung, angeführt vom charismatischen Prediger Martin Luther King, löst grosse soziale Unruhen aus. King will, dass nicht nur privilegierte Weisse, sondern auch die Nachkommen der Sklaven am amerikanischen Traum teilhaben können: «I have a dream.»

Aufgehobene Rassentrennung

1965 wird die Rassentrennung per Gesetz aufge­hoben. Doch die Probleme bleiben. Und der Ku-Klux-Klan erstarkt. Britta Waldschmidt-Nelson, USA-Expertin und Historikerin an der deutschen Uni Augsburg: «Jedes Mal, wenn sich die Schwarzen einen Teil ihrer Rechte erkämpften, schürte das den Hass derjenigen Weissen, die nach wie vor denken, Schwarze seien nicht gleichwertig.»

Auch während der Prä­sidentschaft von Barack ­Obama: «Viele hofften, er werde Brückenbauer zwischen den Gräben in der Gesellschaft.» Stattdessen sei das Gegenteil passiert: «Die White Supremacists sahen sich in Gefahr: Nun war auch die letzte Bastion, das Weisse Haus, an einen Schwarzen gefallen.»

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Die Hürden im Leben vieler Schwarzer sind hoch. Schwarze Männer haben eine fast fünf Jahre geringere Lebenserwartung als weisse. Die ver­dienen im Schnitt fast doppelt so viel wie Schwarze, haben insgesamt zehnmal mehr Vermögen. Und jetzt trifft auch die Corona-­Krise die Schwarzen noch besonders: Sie machen 60 Prozent aller Toten in den USA aus – bei nur etwa 15 Prozent Bevölkerungsanteil.

Diskriminierung längst nicht überwunden

Mehr als 300 Jahre kämpften Sklaven und ihre Nachfahren für gleiche Rechte. Und auch, wenn sich viele das Gegenteil einreden: Die Rassen­diskriminierung ist noch längst nicht überwunden. Die aktuellen Proteste sind so breit abgestützt wie ­lange nicht mehr. Auch, weil ihnen die Bewegung «Black Lives Matter» (Schwarze Leben zählen) den Boden geebnet hat und weil junge Menschen besser vernetzt und stärker politisiert sind als noch vor wenigen Jahren. Sie fordern radikale Veränderung.

«Das ist auch dringend notwendig», ist Monika Dommann überzeugt. «Es braucht eine aktive Wiedergutmachung, ganze ­Regionen müssen aufgewertet werden. Und die Amerikaner müssen sich endlich kritisch mit ihrer eigenen Geschichte aus­einandersetzen.»

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