Rätsel um weltweite Übersterblichkeit
Fast 15 Millionen Todesfälle mehr als erwartet

Unerwartet viele Menschen sind in den Jahren 2020 und 2021 gestorben, wie die Weltgesundheitsorganisation mitteilt. Das Corona-Virus trifft nur eine Teilschuld. Die Gründe sind vielfältiger.
Publiziert: 15.12.2022 um 15:59 Uhr

Übersterblichkeit – davon spricht man, wenn mehr Menschen sterben, als gemäss Statistik zu erwarten ist. In den Jahren 2020 und 2021 war dies weltweit der Fall, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Fachzeitschrift «Nature» schreibt. Laut der Analyse kam es durch die Pandemie bis Ende 2021 weltweit zu 13,3 bis 16,6 Millionen Todesfällen. Der Mittelwert von 14,9 Millionen ist fast das Dreifache der offiziell erfassten Covid-Todesfälle.

Jedoch sind die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen, wie die WHO selber schreibt. «Für fast die Hälfte aller Staaten ist es aufgrund der schwachen Datenlage nicht möglich, die Übersterblichkeit mit hoher Sicherheit anzugeben», heisst es im Bericht.

In der Schweiz und Deutschland liegen die Zahlen offen und zeigen aktuell ein klares Bild. Bei unseren nördlichen Nachbarn ist die Übersterblichkeit im letzten Oktober gut ersichtlich. Der Mittelwert der Todesfälle aus den vergangenen Jahren wurde um 19 Prozent übertroffen. 15'000 Menschen starben zusätzlich, wie das Statistische Bundesamt schreibt.

In den Jahren 2020 und 2021 kam es zu 15 Millionen Todesfällen mehr als erwartet.
Foto: imago images/Christian Thiel
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Infektionskrankheiten und Hitze-Sommer

Auch in der Schweiz ist Ähnliches zu beobachten. «Von Mitte Juni bis Anfang September 2022 lag die Sterblichkeit der Über-65-Jährigen über dem erwarteten Wert», wie das Bundesamt für Statistik mitteilt. «Ab Anfang Oktober zeigen sich in der Gruppe der Personen ab 65 Jahren erneut Todesfallzahlen über dem langjährigen Erwartungswert.» Bei den jüngeren Personen gab es in den vergangenen Jahren keine auffällige Übersterblichkeit. Wie ist das zu erklären?

Eine klare Antwort gibt es nicht. Experten vermuten, dass es mehrere Gründe gibt, die zusammengenommen zur hohen Übersterblichkeit geführt haben, wie der «Spiegel» berichtet. Im Verdacht stehen andere Infektionskrankheiten, die früher als sonst grassierten. Gleichzeitig war das Gesundheitssystem durch Corona überlastet und es herrschte Personalmangel in den Spitälern.

Die «Süddeutsche Zeitung» spekulierte in einer Datenauswertung, dass Tumore zu spät erkannt wurden. Die Angst vor Covid-19 habe die Leute vor einem Kontrollbesuch beim Arzt abgehalten.

Übersterblichkeit geht weiter

Auch die WHO geht davon aus, dass Corona indirekt hinter der Übersterblichkeit steckt. «Darüber hinaus, was direkt auf Corona zurückzuführen ist, hat die Pandemie auch umfangreiche Kollateralschäden verursacht, die zu erheblichen Verlusten an Lebensgrundlagen und Menschenleben geführt haben», heisst es im Bericht. Was den Sommer betrifft, könnte die Hitze für mehr Tote verantwortlich sein. Gerade für ältere Menschen kann eine hohe Temperatur gefährlich und auch tödlich werden.

Die Übersterblichkeit zieht sich übrigens weiter ins Jahr 2022. Die Schweiz verzeichnet auch hier eine auffällige Übersterblichkeit: Von den Personen, die älter als 65 Jahre sind, sind bislang 4500 mehr als erwartet gestorben. Auch hier steht der Hitze-Sommer im Verdacht. Doch Urs Karrer, Chefarzt der medizinischen Poliklinik am Kantonsspital Winterthur, vermutet, dass weiterhin Corona der entscheidende Faktor ist. «Epidemiologisch findet sich ein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Wellen von starker Virusaktivität gefolgt von Wellen der Übersterblichkeit bei den über 65-Jährigen», sagte Karrer im November. (abt)


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