Militär übernimmt Kontrolle in Myanmar und ruft Notstand aus
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Putsch in Myanmar:Generäle entmachten Aung San Suu Kyi

Aung San Suu Kyi entmachtet
Militär übernimmt Kontrolle in Myanmar und ruft Notstand aus

In Myanmar hat das Militär geputscht. De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi (75) ist am frühen Morgen von Uniformierten abgeführt worden. Die Armee nennt Wahlbetrug als Grund für die Machtübernahme und hat einen einjährigen Notstand ausgerufen.
Publiziert: 01.02.2021 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 02.02.2021 um 12:02 Uhr

Myanmars frühere Oppositionsführerin und De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi ist im Morgengrauen zusammen mit weiteren Regierungsmitgliedern verhaftet worden. Wegen anhaltender Kritik des einflussreichen Militärs am Wahlergebnis von November kursierten im Land seit längerem Gerüchte über einen möglichen bevorstehenden Militärputsch. Mitglieder von Suu Kyis Regierungspartei rechneten seit Tagen mit ihrer baldigen Festnahme durch Sicherheitsbeamte.

Zunächst erliessen die Uniformierten keine Erklärung zu den Vorgängen im Land. Auf den Strassen der Hauptstadt Naypyidaw und in der grössten Stadt des Landes, Yangon, herrschte der übliche Morgenverkehr bei erhöhter Sicherheitspräsenz. Truppen sicherten wichtige Gebäude. Internet- und Telefonverbindungen waren zuweilen unterbrochen. Berichte über gewaltsame Zwischenfälle gab es zunächst nicht.

Kurz vor 9 Uhr Ortszeit (3.30 Uhr MEZ) erfolgte eine Verlautbarung der Generäle: Im Militärfernsehen «TV Myawaddy» gab ein Sprecher bekannt, dass die Armee die Kontrolle über das Land übernommen habe. Die Aufhebung der Zivilregierung soll für ein Jahr gelten. Als Grund für die Ausrufung des Ausnahmezustandes gab der Sprecher «Wahlbetrug» an.

Die «Lady», wie Aung San Suu Kyi auch respektvoll genannt wird, trägt immer frische Blumen im Haar.
Foto: AFP
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Rad der Zeit zurückgedreht

Vizepräsident Myint Swe (69), ein ehemaliger General, wurde zum Übergangsstaatsoberhaupt ausgerufen und hat sein Vizepräsidentenamt an den Militärchef übertragen. Damit liegt die eigentliche Macht bei Armeechef Min Aung Hlaing (64), der während des einjährigen Notstands die oberste Befehlsgewalt inne hat. Unklar blieb zunächst, wo Aung San Suu Kyi festgehalten wird.

Die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 hatte sich bei der jüngsten Parlamentswahl im November eine zweite Amtszeit in dem südostasiatischen Land mit 50 Millionen Einwohnern gesichert. Ihre Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) holte nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit, die Wahlbeteiligung lag über 70 Prozent. Doch auch nach der Wahl blieb Suu Kyi auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen.

Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, welche die Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden. Jetzt drehen die Generäle das Rad der Zeit zurück. An Myanmars Landesspitze stehen, wie während Jahrzehnten, wieder Uniformierte.

Vom Hausarrest an die Regierungsspitze - und vom Westen zunehmend kritisiert

Suu Kyi hatte nie umfassende Machtbefugnisse genossen. Weil sie mit einem Ausländer verheiratet war, dem Briten Michael Aris (1946-1999), durfte sie nicht Präsidentin werden. Suu Kyi regierte als Staatsrätin und somit De-facto-Regierungschefin. Ohne das Militär waren keine Verfassungsänderungen möglich; dieses kontrolliert zudem die wichtigsten Ministerien.

Die Friedensnobelpreisträgerin war zuvor über ein Dutzend Jahre unter Hausarrest gestanden und galt insbesondere im Westen als Ikone der Demokratie. Im eigenen Land bleibt die Politikerin sehr beliebt. International dagegen ist die frühere Freiheitsikone mittlerweile umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bislang weitgehend ausgeblieben. Suu Kyi zeigte in jüngster Zeit auch selbst einen immer autoritäreren Regierungsstil.

Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht Suu Kyi international in der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen. In einem Völkermord-Verfahren in Den Haag hatte Suu Kyi die Vorwürfe 2019 zurückgewiesen. Von Genozid könne keine Rede sein, die Armee verteidige nur das Land gegen Angriffe bewaffneter Rebellen, sagte sie damals.

Uno-Generalsekretär Guterres warnte noch

Nach politischen Lockerungen durch die Junta seit 2002 war die Tochter von Staatsgründer General Aung San (1915-1947) schrittweise zur Landesführerin aufgestiegen. Nun wird das ehemalige Burma der Briten von seiner turbulenten Geschichte der Militärregimes wieder eingeholt. Die Festnahmen erfolgen nur zwei Tage, nachdem Uno-Generalsekretär Antonio Guterres (71) vor jeglichen Provokationen gewarnt hatte. Guterres forderte «alle Akteure auf, jede Form von Aufwiegelung oder Provokation zu unterlassen, Führungsstärke zu zeigen und sich an demokratische Normen zu halten und das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 8. November zu respektieren».

Suu Kyis NLD hatte bei der Wahl einen Erdrutschsieg verzeichnet. Allerdings kritisierten Menschenrechtsorganisationen und die mit der Armee verbündete Opposition, dass zahlreiche Wähler in Unruheregionen nicht zur Wahl zugelassen worden seien. Die Behörden begründeten dies mit Sicherheitsbedenken.

Generäle kündigten Putsch an

Ein Armeesprecher hat noch am Dienstag in der Hauptstadt Naypyidaw gefordert, die Wahlkommission müsse die Wählerlisten zur Überprüfung vorlegen. Die auch Tatmadaw genannte Armee fordert seit Wochen eine Untersuchung des Wahlergebnisses wegen angeblichen Wahlbetrugs.

Auf die Möglichkeit eines Putsches angesprochen, reagierte der Armeesprecher am Dienstag ausweichend: «Wir sagen nicht, dass die Tatmadaw die Macht übernehmen wird. Wir sagen aber auch nicht, dass sie es nicht tun wird.» Das Militär werde sich jedoch an die geltenden Gesetze halten.

Suu Kyi hat sich bisher nicht zu den Betrugsvorwürfen geäussert. Ein Sprecher der NLD betonte lediglich, dass ein Putsch gegen die Verfassung verstossen würde.

USA besorgt über Lage in Myanmar - Freilassung Suu Kyis gefordert

Die US-Regierung hat besorgt auf Berichte über einen Militärputsch in Myanmar reagiert und die sofortige Freilassung der festgesetzten Suu Kyi gefordert. Alle Beteiligten, auch das Militär, müssten sich an demokratische Normen und Rechtsstaatsprinzipien halten, forderte das US-Aussenministerium in einer Stellungnahme am Sonntagabend.

Präsident Joe Biden (78) sei von seinem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan über die Situation in dem südostasiatischen Land informiert worden. «Die Vereinigten Staaten lehnen alle Versuche ab, den Ausgang kürzlich abgehaltener Wahlen zu verändern oder den demokratischen Übergang in Myanmar zu behindern», hiess es in der Stellungnahme. Es würden «Massnahmen gegen die Verantwortlichen ergriffen, wenn diese Schritte nicht rückgängig gemacht werden».

Um solche Aufforderungen haben sich auch Myanmars alte Militärregierungen noch nie gross gekümmert. Das Land steht China nahe, mit dem es eine 2129 Kilometer lange Landesgrenze teilt. China hat sich anders als die USA noch nie in die Geschäfte von Myanmars Generälen eingemischt. Im Gegenteil: Die Länder sind wichtige Wirtschaftspartner. Zudem haben Coups geradezu Tradition in der Region. Nachbar Thailand produzierte gleich 13 davon. (kes/SDA/AFP)

Der Vielvölkerstaat Myanmar

Myanmar, das frühere Burma, liegt in Südostasien zwischen Indien und China. Das Land mit einer langen Küste am Golf von Bengalen ist flächenmässig fast doppelt so gross wie Deutschland und hat knapp 54 Millionen Einwohner. Die Bevölkerung setzt sich aus mehr als 130 Ethnien zusammen. Zwei Drittel sind Bamar, wie auch De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und fast die gesamte Staats- und Militärelite. Zu den grössten ethnischen Gruppen zählen die Chin, die Kachin, die Karenni und die Karen.

Die Minderheiten leben in den teils an Bodenschätzen reichen Grenzgebieten. Seit der Unabhängigkeit 1948 kämpfen viele um Unabhängigkeit oder Autonomie. Durch die Kämpfe mit bewaffneten Rebellen sind Hunderttausende Menschen vertrieben worden. International steht besonders die staatliche Diskriminierung der Rohingya in der Kritik: Die Vereinten Nationen bezeichnen die Verfolgung der muslimischen Minderheit in Myanmar als anhaltenden Völkermord.

Seit 1962 wurde das Land von einer Militärdiktatur beherrscht, bis 2011 der Übergang zur Demokratie eingeleitet wurde. (SDA)

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