Pussy-Riot-Sängerin boykottiert Präsidentenwahl
«Die Russen haben die Wahl zwischen Putin und Putin»

«Pussy Riot»-Aktivistin Maria Aljochina musste 2012 nach ihrem «Punk-Gebet» und Putin-Kritik für zwei Jahre ins Gefängnis. Im Interview spricht die Sängerin über die Wahl am Sonntag und ihren Kampf gegen die Regierung.
Publiziert: 17.03.2018 um 17:59 Uhr
|
Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:58 Uhr
Interview: Anastasia Mamonova

Am Sonntag finden in Russland die Präsidentschaftswahlen statt. Wladimir Putin wird danach wohl für mindestens sechs weitere Jahre im Amt bleiben.

BLICK-Reporterin Anastasia Mamonova traf Maria Aljochina von Pussy Riot in Zürich.
Foto: Philippe Rossier
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Nach den letzten Wahlen 2012 musste Pussy-Riot-Aktivistin, Maria Aljochina (29), wegen ihrer Putin-Kritik zwei Jahre hinter Gitter. Die Russin führt auch nach der Haftstrafe ihren Kampf gegen die Regierung fort. Sie hat das Buch «Riot Days» geschrieben und trat in Zürich im Rahmen der Riot Days Show auf. BLICK hat Aljochina zu einem Gespräch getroffen.

BLICK: Am 18. März wird in Russland der Präsident gewählt. Für wen stimmen Sie?
Maria AljochinaWas am Sonntag stattfindet, sind keine Wahlen. Das ist ein Fake. In Russland gibt es keine Wahl der politischen Macht. Das ist kein Geheimnis. Man braucht gar nicht erst über die Kandidaten zu sprechen. Es reicht schon, die Situation mit Alexej Nawalny zu betrachten, der nicht zu den Wahlen zugelassen wurde. Um aufrichtig über Wahlen und Kandidaten sprechen zu können, braucht es zuerst die Möglichkeit einer ernsthaften Wahl des Präsidenten.

Sie werden also nicht wählen?
Nein. Aber das Boykottieren der Wahl ist auch aktives Handeln. Es ist nicht einfach ein stummes Zuschauen. Die Form des Protestes kann unterschiedlich sein – der Gang auf die Strasse, politische Kunst, Aktivismus. Je mehr Menschen das tun, desto besser.

Wie sollte denn der Präsident Russlands sein?
Es geht nicht darum, wie ich ihn mir wünsche, sondern darum, dass es eine echte Konkurrenz und einen echten politischen Kampf braucht, und diese fehlen derzeit.

Gemäss letzten Umfragen würden aber fast 70 Prozent der Russen für Putin stimmen. Wie erklären Sie sich das?
Diese Zahl sagt in erster Linie etwas darüber aus, dass praktisch alle Medien Putins Freunden gehören und von seiner Verwaltung kontrolliert werden. Wenn die Leute jeden Tag den Fernseher einschalten oder sich über gewisse andere Medien informieren, und dort die Wahl zwischen Putin und Putin sehen, dann überraschen mich diese 70 Prozent nicht.

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Haben die Menschen in Russland Angst vor Putin?
Es gibt Menschen, die Angst haben, ins Gefängnis zu gehen. Und das ist eine begründete Angst. Ich gehöre nicht dazu. Ich finde, das gefährlichste Gefängnis ist die Zensur. Wenn du dir selbst verbietest, das zu sagen, woran du glaubst, weil du Angst hast, ins Gefängnis zu gehen oder eins auf den Deckel zu kriegen.

Warum kämpfen Sie gegen Putin?
Weil ich nicht mit einem Menschen klarkomme, der politische Morde fördert, Krieg – insbesondere mit der Ukraine – anzettelt und Geld klaut. Ich denke, diese Liste kann man ewig weiterführen.

Das Thema eines politisch motivierten Mordes könnte wieder aufflammen, sollte sich der Zustand des vergifteten Spions Sergej Skripals verschlechtern. Glauben Sie, Russland steckt tatsächlich hinter dem Giftanschlag oder handelt es sich um grundlose Beschuldigungen des Westens, wie das Russland behauptet?
Das sind bestimmt keine grundlosen Beschuldigungen des Westens. Man braucht sich nur an den Fall Litwinenko erinnern (der russische Ex-Agent und Kreml-Kritiker wurde 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergiftet, Anm. d. Red.), um Geheimdienst-Methoden zu erkennen. Es ist wichtig, den Fall weiter zu untersuchen und Sanktionen gegen diejenigen Beamten zu ergreifen, die damit etwas zu tun haben.

Hat sich seit dem Beginn Ihres Kampfs gegen die Regierung etwas in Russland verändert?
Wenn man von staatlichen Initiativen spricht, dann werden die Schrauben fester angezogen, es findet eine Verschärfung der Gesetzgebung statt. Wenn man die Menschen betrachtet, dann kann ich sagen, dass ich viele Teenager getroffen habe, die mir erzählt haben, dass sie sich mit der Kunst und dem Aktivismus erst seit Pussy Riot beschäftigen. Das bedeutet mir sehr viel.

Wie hat sich Ihr Leben nach der Zeit im Gefängnis verändert? 
Keine von uns hätte je gedacht, dass wir ins Gefängnis kommen. Aber wenn wir nicht hinter Gittern gelandet wären, hätten wir nie das Projekt «Mediazona» gestartet. («Mediazona» ist ein Online-Medium, welches den Fokus auf Gerichtsberichterstattung legt sowie politisch verfolgte russische Staatsbürger thematisiert, Anm. d. Red.). Was die Strassen-Proteste betrifft, machen wir genau so weiter wie bisher.

Pussy-Riot-Aktivistinnen wurden am 19. Februar 2014 von Kosaken in Sotschi attackiert.
Foto: Morry Gash

Ernten Sie Hass?
Ich habe in diesen sechs Jahren keinen Menschen auf der Strasse oder in der U-Bahn getroffen, der einen Hass auf mich hatte. Zumindest niemand, der es nicht auf Befehl von oben gemacht hat. Nach dem wir aus dem Gefängnis kamen, gab es 2014 eine Reihe von Überfällen auf uns. In Sotschi waren das organisierte Kosaken-Truppen, und in Nischni Nowgorod war es eine nationalistische Organisation. Das sind Menschen, die stolz auf ihre Verbindung zur Regierung sind und das auch nicht verhehlen. Das sind keine Menschen, die unabhängig handeln.

Auf der Krim wurden Sie kürzlich von Kosaken als «Staatsfeindin» beschimpft. Haben Sie Angst um Ihr Leben? 
Nein. Nur, weil irgendein Idiot etwas sagt, habe ich noch keine Angst um mein Leben.

Geht Ihr Kampf weiter?
Bei Pussy Riot geht es um die politische Kunst. Jeder kann Pussy Riot sein und das auf seine Weise zeigen. Ich habe das Buch «Riot Days» geschrieben. Wir machen das, was wir fühlen. Das oberste Ziel ist es, die Wahrheit zu sagen. Es gibt immer Platz für einen Protest, nur so kann man Veränderungen erreichen.

Welche Veränderungen braucht Russland?
Man muss die Angst und die Apathie überwinden. Viele reden von einem Anführer, der kommt und das Land von Grund auf verändert. Ich glaube nicht an eine solche Konzeption. Solange nicht jeder einzelne Mensch erkennt, dass er die Möglichkeit hat, sein Land und das, was ihn umgibt, zu verändern, wird es keine grundlegende Veränderung und keinen Neuanfang geben.

Was wünschen Sie Russland für die Zukunft?
Ich möchte nicht, dass man in meinem Land für seine Meinung ins Gefängnis gesteckt wird oder dass es politische Morde gibt. Und ich möchte nicht, dass mein Land mit seinem Bruderland (Ukraine, Anm. d. Red) Krieg führt.

Der Fall Pussy Riot

Am 21. Februar 2012 führte Maria Aljochina (29) gemeinsam mit ihren Kolleginnen Nadeschda Tolokonnikowa (28) und Jekaterina Samuzewitsch (35) das «Punk-Gebet» in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale auf. Die Frauen betraten den Ambo der Kathedrale, dessen Betreten ohne eine ausdrückliche priesterliche Einladung für Privatpersonen nicht gestattet ist, und führten vor dem Altar ihre Performance durch. Im Lied sangen die Aktivistinnen in Sturmhauben unter anderem «Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin».

Die drei Frauen wurden daraufhin verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Am 17. August 2012 wurden Aljochina und Tolokonnikowa wegen «Rowdytum» und «Aufwiegelung zu religiösem Hass» zu zwei Jahren Haft verurteilt. Samuzewitsch erhielt eine Bewährungsstrafe.

Es folgten Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, mehrere Hungerstreiks der beiden Frauen und zahlreiche Demonstrationen für ihre Freilassung auf der ganzen Welt.

Am 23. Dezember 2013 kamen die Pussy-Riot-Mitglieder frei – drei Monate vor dem regulären Ablauf der Haftstrafe. Dies, weil das russische Parlament anlässlich des 20. Jahrestags der russischen Verfassung ein vom Kreml eingebrachtes Amnestiegesetz verabschiedete und die Frauen somit von Putin begnadigt wurden.

Am 21. Februar 2012 führte Maria Aljochina (29) gemeinsam mit ihren Kolleginnen Nadeschda Tolokonnikowa (28) und Jekaterina Samuzewitsch (35) das «Punk-Gebet» in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale auf. Die Frauen betraten den Ambo der Kathedrale, dessen Betreten ohne eine ausdrückliche priesterliche Einladung für Privatpersonen nicht gestattet ist, und führten vor dem Altar ihre Performance durch. Im Lied sangen die Aktivistinnen in Sturmhauben unter anderem «Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin».

Die drei Frauen wurden daraufhin verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Am 17. August 2012 wurden Aljochina und Tolokonnikowa wegen «Rowdytum» und «Aufwiegelung zu religiösem Hass» zu zwei Jahren Haft verurteilt. Samuzewitsch erhielt eine Bewährungsstrafe.

Es folgten Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, mehrere Hungerstreiks der beiden Frauen und zahlreiche Demonstrationen für ihre Freilassung auf der ganzen Welt.

Am 23. Dezember 2013 kamen die Pussy-Riot-Mitglieder frei – drei Monate vor dem regulären Ablauf der Haftstrafe. Dies, weil das russische Parlament anlässlich des 20. Jahrestags der russischen Verfassung ein vom Kreml eingebrachtes Amnestiegesetz verabschiedete und die Frauen somit von Putin begnadigt wurden.

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