Punkt 7 fehlt im Mobilisierungsdekret
Das steckt hinter Putins Geheim-Klausel

Ein unveröffentlichter Absatz von Wladimir Putins Dekret zur Teilmobilisierung soll sich mit Regionen befassen, die ein «hohes Protestpotenzial» bergen.
Publiziert: 22.09.2022 um 13:10 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2022 um 16:43 Uhr
Fabian Babic

Wladimir Putin (69) greift zu noch drastischeren Mitteln im Ukraine-Krieg und mobilisiert mehr Streitkräfte in Russland. Das Dekret, das zehn Punkte enthält, lässt sich auf der Website des Kremls einsehen. Etwas fällt allerdings auf: Zwischen Punkt 6 und Punkt 8 herrscht Leere. Was verbirgt sich hinter diesem geheimen Absatz in Putins Befehl? Das PDF hilft wenig weiter. Dort findet sich zwar ein Punkt 7 – aber da steht nur die Floskel «für dienstlichen Gebrauch».

«Für dienstlichen Gebrauch»: Was verbirgt sich hinter Punkt 7?
Foto: Screenshot

Die offizielle Antwort des Putin-Pressesprechers Dmitri Peskow (54): Dieser Absatz benenne die Zahl der zu mobilisierenden Bürger. «Er ist für den amtlichen Gebrauch bestimmt und deshalb kann ich ihn nicht enthüllen», sagte Peskow gemäss der Nachrichtenagentur Interfax während eines Reporter-Briefings. Er verwies lediglich auf die Aussage des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu (67), der von bis zu 300'000 Reservisten gesprochen hat.

Putin will Regionen mit «Protestpotenzial» kontrollieren

Peskows Behauptung solle allerdings nicht stimmen, schreibt ein Telegram-Kanal, dem das vollständige Dekret nach eigenen Aussagen vorliegt. In Wahrheit soll es im unter Verschluss gehaltenen Absatz um Regionen «mit hohem Protestpotenzial» gehen. Dort sei in erster Linie sicherzustellen, dass die Wehrpflichtigen ihren Dienst antreten. Konkret sei ein besonderes Augenmerk auf die Regionen Karelien, Dagestan, Jakutien und Chabarowsk zu richten.

Kremlchef Wladimir Putin hat eine Teilmobilmachung ausgerufen und andere Staaten vor Angriffen auf Russlands Staatsgebiet gewarnt.
Foto: IMAGO/SNA
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Diese vier Regionen befinden sich in Grenznähe. Karelien ist eine Teilrepublik Russlands, die direkt an Finnland grenzt. Dort seien schon Staus am Zoll beobachtet worden. Nachdem zunächst alte Webcam-Bilder von russischen Auto-Kolonnen verbreitet worden waren, bestätigen aktuelle Aufnahmen die Vermutung mittlerweile: Viele Russen versuchen, über die Grenze nach Finnland zu kommen.

Videos zeigen Festnahmen in Moskau und St. Petersburg
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Demos in 36 russischen Städten:Videos zeigen Festnahmen in Moskau und St. Petersburg

In Jakutien seien schon erste Massnahmen beobachtet worden. Gemäss dem Telegram-Kanal habe das russische Militärkommissariat den Bürgern in Jakutien, die unter die Mobilisierung fallen, verboten, ihren Wohnsitz ohne Sondergenehmigung zu verlassen.

Proteste gegen Mobilmachung

Putins Teilmobilmachung hat eine Welle der Entrüstung in Russland ausgelöst. Nun ist auch dort der Krieg in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Oppositionelle riefen deshalb zu Protesten auf. Die Jugendbewegung Vesna schreibt: «Tausende russische Männer – unsere Väter, Brüder und Ehemänner – werden in den Fleischwolf des Kriegs geworfen!»

Wie «The Guardian» berichtet, wurden nach Angaben des unabhängigen Polizeimonitors OVD-Info landesweit über 1350 Festnahmen in 38 Städten des Landes gezählt. Allein in St. Petersburg wurden diesen Angaben zufolge 556 Demonstranten in Gewahrsam genommen, in der Hauptstadt Moskau waren es ebenfalls mehr als 500. Die Behörden machten zunächst keine Angaben zu den Festnahmen.

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