Oberbefehlshaber der US-Atomstreitkräfte warnt vor kommendem grösserem Konflikt
«Diese Ukraine-Krise ist nur das Vorspiel»

Der Krieg in der Ukraine sei bloss das «Aufwärmen», warnt der Oberkommandierende der US-Atomstreitkräfte. Der grosse Krieg komme. China und Russland würden die USA mit nuklearer Aufrüstung abhängen – und liessen sich auch nicht länger mittels Atomwaffen abschrecken.
Publiziert: 07.11.2022 um 02:18 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2022 um 09:36 Uhr
Daniel Kestenholz

Admiral Charles A. Richard (62), Oberbefehlshaber von Stratcom, der US-Kommandostelle für Atomstreitkräfte, nennt den Krieg in der Ukraine bloss den «Warm-up», das «Warmlaufen» oder das «Vorspiel» für den grossen Krieg, der komme. Richard warnt, dass China und Russland die USA im Nuklearbereich überflügeln. Dass die nukleare Abschreckung Amerikas nicht länger wirke.

«Diese Ukraine-Krise, in der wir uns gerade befinden, ist nur das Warmlaufen», sagte Richard am Donnerstag in einer Rede vor der Naval Submarine League in Virginia, wie das US-Verteidigungsministerium auf seiner Webseite meldet. «Die grosse Krise kommt noch», so Richard. «Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir auf eine Art und Weise getestet werden, wie wir es schon lange nicht mehr erlebt haben.»

Der Krieg in der Ukraine sei bloss der Auftakt zu grösseren militärischen Herausforderungen für die USA. Dabei verliere Amerika seinen Vorsprung bei den nuklearen Fähigkeiten. «Wenn ich unser Abschreckungsniveau gegenüber China beurteile, dann sinkt das Schiff langsam», sagte Richard. «Es sinkt langsam, aber es sinkt, da sie im Grunde genommen schneller als wir Fähigkeiten ins Feld bringen.» Laut Richard würden die USA bloss noch bei der Kriegsführung unter Wasser mit U-Booten dominieren.

Admiral Charles A. Richard, Befehlsführer von Stratcom, der US-Kommandostelle für Atomstreitkräfte aller Teilstreitkräfte der Vereinigten Staaten.
Foto: defense.gov
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Pentagon: «Wir müssen mehr tun»

Der Stratcom-Befehlshaber fordert, dass sich die USA von der Vorgehensweise in den 1950er-Jahren inspirieren lassen, als Amerika zur Weltmacht aufstieg. «Wir müssen die Art und Weise, wie wir die Verteidigung dieser Nation angehen, schnell und grundlegend ändern. Früher wussten wir, wie man schnell handelt, und das haben wir verlernt.» Ansonsten, so warnt der Admiral, «wird China uns einfach überflügeln, und Russland wird in absehbarer Zeit auch nicht verschwinden».

Das Pentagon ist sich der von Richard vorgetragenen Warnungen offenbar bewusst. Die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh (34) sagte am Freitag in einem Pressebriefing: «Wir sind sehr zuversichtlich in Bezug auf unsere Fähigkeiten, wenn es um China geht.» Admiral Richard habe seine Verteidigungsstrategie dargelegt, wonach «China unsere grösste Herausforderung bleibt. Wir wissen», räumte Singh jedoch ein, «dass wir in Bezug auf unsere eigene Bereitschaft und unsere eigenen Übungen mehr tun müssen, um mit China konkurrieren zu können.»

Moskau und Peking zeigen «wenig Interesse» an nuklearer Abrüstung

Dabei zeichnet das Pentagon auch in seiner am 27. Oktober veröffentlichten Nationalen Verteidigungsstrategie ein düsteres Bild zum nuklearen Gleichgewicht zwischen den USA, Russland und China. «Unsere wichtigsten Konkurrenten», heisst es darin, «bauen ihre nuklearen Fähigkeiten weiter aus und diversifizieren sie, um neuartige und destabilisierende Systeme sowie nichtnukleare Fähigkeiten zu entwickeln, die für strategische Angriffe genutzt werden könnten.»

China, so das 80-seitige Papier, «stellt die grösste und systemischste Herausforderung dar», während «Russland eine akute Bedrohung» sei. Sowohl Peking als auch Moskau hätten «wenig Interesse gezeigt, ihre Abhängigkeit von Atomwaffen zu verringern. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die Vereinigten Staaten auf den rechtzeitigen Ersatz von alten, im Einsatz befindlichen Systemen, die sich rasch dem Ende ihrer Nutzungsdauer nähern.»

China strebt an, bis Ende 2030 über mindestens 1000 atomare Sprengköpfe zu verfügen. Die Arsenale der USA und Russlands werden durch den Start-Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen auf je 1550 Sprengköpfe begrenzt. Beide Seiten verfügen jedoch über Trägerkapazitäten für den Einsatz von weit mehr Atomwaffen.

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