Wärmebildaufnahmen zeigen Methanwolke
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Nach Leck in Nord Stream:Wärmebildaufnahmen zeigen Methanwolke

Neue Enthüllungen
Heisse Spuren zu Nord-Stream-Sabotage führen in die Ukraine

Lichtet sich der Nebel um Andromeda? So heisst die Yacht, von der die Nord-Stream-Anschläge verübt worden sein sollen. Vieles bleibt schleierhaft um die Sabotage, die wie ein Agententhriller anmutet. Laut neuen Enthüllungen führen Spuren in die Ukraine.
Publiziert: 22.05.2023 um 03:03 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2023 um 09:52 Uhr

Mehrere Ukrainer sollen hinter den Anschlägen auf die Nord-Stream-Gaspipelines stecken. Zu diesem Schluss kommen investigative Recherchen von einem europäischen Medienpool, dem auch der «Tages-Anzeiger» angehört. Zudem geht man in deutschen Sicherheitskreisen auch von staatlichen Akteuren aus. Der Verdacht der Ermittler lautet: «Verfassungsfeindliche Sabotage», und dass mutmasslich mindestens ein Geheimdienst mit im Spiel gewesen wäre. Der ukrainische? Oder US-amerikanische?

Offenbar hatte das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) vor einigen Monaten ein polnisches Reisebüro namens Feeria Lwowa ausfindig gemacht. Über dieses sollen die Verdächtigen hinter den Nord-Stream-Sprengungen die Andromeda-Yacht gechartert haben, um die Attentatsorte auf hoher See zu erreichen. Die Woche an Bord der 15,5-Meter-Yacht kostet je nach Saison um die 3200 bis 4500 Euro. Die verdächtige Crew – vermutlich fünf Männer und eine Frau – startete im deutschen Rostock. Über Zwischenstopps gelangen sie unweit zur der Stelle, wo die Pipelines später explodieren. Ermittler stellten später an Bord des Schiffes Reste eines Sprengstoffs sicher, der «militärisch verwendbar und unterwassertauglich» sei.

Den Recherchen zufolge soll es sich bei dem Reisebüro um eine Scheinfirma handeln. Diese war 2016 von zwei Ukrainern gegründet worden. Heute gehört das Unternehmen, das bis 2020 unauffällig blieb, einer 32-jährigen Ukrainerin. Seit September 2021 ist zudem eine 55-jährige Ukrainerin Direktorin und Teilhaberin an der Firma.

Nord-Stream-Explosionen im September 2022.
Foto: AFP
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Weitere Spuren in die Ukraine

Laut den Recherchen ist die neue Teilhaberin auch Geschäftsführerin weiterer Unternehmen in Polen und der Ukraine. Während der Covid-Pandemie soll die Briefkastenfirma plötzlich 2,8 Millionen Euro verdient haben, umgerechnet rund 2,72 Millionen Franken. Die Recherchen schliessen nicht aus, dass die 2,8 Millionen Euro mit der Charterung der Andromeda verbunden sein könnten.

Noch weitere Spuren führen in die Ukraine. Bei der Anmietung der Andromeda sollen gefälschte bulgarische und rumänische Pässe verwendet worden sein. Tatsächlich habe es sich bei einem Rumänen namens Stefan Marcu um einen 26-jährigen Ukrainer gehandelt, einen Soldaten mit auffälligen Tätowierungen. Zudem wurde ein weiterer Ukrainer identifiziert: Ein Mann aus der Nähe von Odessa, der in Ermittlerkreisen bekannt sei und die Anschläge logistisch vorbereitet haben soll.

Derweil ermitteln Dänemark, Schweden und das bundesdeutsche BKA. Zum Stand der Untersuchungen gibt man sich bedeckt. Zu einem möglichen Mitwirken ukrainischer Stellen befragt, heisst es aus dem Wiesbadener BKA-Hauptsitz, man nehme «zu den laufenden Ermittlungen nicht weiter Stellung». Schon gar nicht zu «Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen». Damit werde nicht gesagt, «ob der Sachverhalt zutrifft oder nicht». Ein Dementi, so folgern die recherchierenden Zeitungen, klinge anders.

Offene Fragen

Viele Fragen bleiben offen, darunter: Wer waren die Taucher und wer hätte sie für eine solche Sabotageaktion ausgebildet? Kam der Sprengstoff womöglich erst auf offener See an Bord? Oder soll mit einem grossen Täuschungsmanöver bloss eine falsche Spur gelegt werden?

Nord Stream hatte am 27. September 2022 «noch nie dagewesene Schäden» an drei Strängen der Offshore-Gaspipelines gemeldet. Später erklärten schwedische Seismologen, sie hätten am 26. September 2022 zwei Tiefsee-Explosionen im fraglichen Gebiet festgestellt.

Nach dem Vorfall leitete die russische Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren wegen des Verdachts auf internationalen Terrorismus ein. Der US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh (86) wiederum beschuldigte seine eigene Regierung der Sabotage, Spezialtaucher der US-Marine hätten schon im Juni unter dem Deckmantel der Baltops-Nato-Manöver ferngesteuerte Sprengsätze platziert. Drei Monate später, so Hersh auf seiner Webseite, zerstörten die Bomben angeblich drei der vier Pipelines des Nord-Stream-Systems. (kes)

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