Nach der Bundestagswahl
Der lange Weg zur richtigen Regierung

Wer zieht mit welcher Koalition ins Kanzleramt? Und wie lange dauert die Regierungsbildung? SonntagsBlick erklärt die Ausgangslage am deutschen Wahlsonntag.
Publiziert: 26.09.2021 um 12:35 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2021 um 12:40 Uhr
Valentin Rubin

Heute entscheidet sich Deutschlands Zukunft. Die Bundestagswahl und der bevorstehende Abgang von Angela Merkel (67) nach 16 Jahren im Kanzleramt markieren einen Umbruch in einer Zeit der grossen Herausforderungen: Pandemie, Klimawandel, Probleme bei der Infrastruktur. Viele wünschen sich Veränderung. Gleichzeitig ist die Unsicherheit gross, wie die neue Regierung aussehen könnte. Noch nie waren so viele Regierungskoalitionen denkbar.

Erster Termin für mehr Klarheit: heute Abend ab 18 Uhr, direkt nach der Wahl. Da stehen sich die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (63, SPD), Armin Laschet (60, CDU) und Annalena Baerbock (40, Grüne) in der «Berliner Runde» gegenüber. Mit ihnen werden die Parteivorsitzenden von FDP, CSU, AfD und Linke debattieren. Die grossen Fragen sind dann: Wer kann mit wem? Und wer wird Kanzler?

Keine Chancen auf die Merkel-Nachfolge ausrechnen darf sich die Grüne Annalena Baerbock. Ihre vielen Patzer und zutage getretenen Unzulänglichkeiten während des Wahlkampfs haben die Hoffnungen der Grünen schmelzen lassen wie einen Eiswürfel im Hitzesommer. Doch auch Olaf Scholz und Armin Laschet werden in den kommenden Tagen und Wochen noch mächtig ins Schwitzen kommen. SonntagsBlick erklärt die Ausgangslage, die Optionen und Herausforderungen.

Angela Merkel war 16 Jahre lang Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Nun aber tritt sie in der Bundestagswahl nicht wieder an.
Foto: AFP
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Die Regierungsbildung könnte Wochen, wenn nicht Monate dauern.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Olaf Scholz ist der sprichwörtliche Phönix aus der Asche. Lange Zeit sah es schlecht aus um seine Siegeschancen, in den letzten zwei Monaten jedoch hat er viel Boden gutgemacht, gemäss den letzten Umfragen ist er der Favorit des heutigen Tages. Sollte die SPD die Wahlen tatsächlich gewinnen, hat der amtierende Vizekanzler und Finanzminister zwei Optionen, eine Regierung zu bilden.

Eine rot-rot-grüne Koalition mit Grünen und Linke. Scholz und Baerbock möchten gerne gemeinsam regieren. Nur wird das für keine Mehrheit reichen. Die Linke böte sich als Königsmacherin an. Das würde die Regierung allerdings stark nach links ausrichten.

In der Tat haben alle drei Parteien inhaltliche Überschneidungen, insbesondere in der Klima-, Sozial- und Wohnpolitik. Aber: Die Linkspartei geht mit der Nato auf Distanz und mit Russland auf Tuchfühlung. Überhaupt wäre eine Koalition mit der Nachfolgerin der einstigen Staatspartei der DDR ein Tabubruch, der viele Deutsche vergraulen würde. Für Scholz, der gerade darum so hohe Beliebtheitswerte erzielt, weil er als Pragmatiker gilt, kann rot-rot-grün daher nur die schlechtere Option sein.

Vielmehr drängt sich die sogenannte Ampelkoalition auf: rot-grün-gelb – FDP statt Linke. Olaf Scholz sprach noch am Donnerstag von der Wichtigkeit einer funktionierenden Finanz- und Aussenpolitik. Das war ein offensichtliches Vorab-Angebot an die FDP.

Ob die Freien Demokraten hier allerdings mitmachen, ist offen. Denn der FDP ist die Klimapolitik von SPD und Grünen ein Dorn im Auge. Umgekehrt machte FDP-Chef Christian Lindner (42) im Vorfeld mehrfach klar: Seine Partei möchte 2021 das Zünglein an der Waage spielen.

Stellt sich die Frage, wie handlungsfähig eine solche Regierung wäre. Die Grünen setzen auf Verzicht, die FDP auf Innovation. Auch beim Mindestlohn klaffen Gräben zwischen beiden Parteien. Scholz müsste verwässerte Kompromisse aushandeln.

Bundeskanzler Armin Laschet (CDU)

Ist Scholz der sprichwörtliche Phönix, so ist Laschet Ikarus, der einen tiefen Fall in der Wählergunst hinter sich hat. Der Vorsprung des Christdemokraten ist in den letzten Wochen erodiert. Daher musste der leutselige Laschet in den Angriffsmodus wechseln. Am Donnerstagabend machte er nochmals klar: «Wir wollen regieren.» Und zwar am liebsten mit der FDP.

Doch auch hier reicht es nicht für eine mehrheitsfähige Regierung. Laschet braucht nebst der FDP die Grünen oder die SPD. Eine «Jamaika-Koalition» zwischen Union, FDP und Grünen wäre die wahrscheinlichste Option, mit der Laschet ins Kanzleramt ziehen würde. Allerdings hat die Basis der Grünen diese Woche nochmals klargemacht: Mit den beiden bürgerlichen Parteien will sie nur ungern ins Geschäft kommen.

Die Alternative für Laschet wäre der Verbund mit der SPD. Diese signalisiert jedoch seit langem, dass sie nicht nochmals in einer grossen Koalition mit der Union regieren möchte. Eine «Deutschland-Koalition» – Schwarz, Gelb und Rot – scheint daher momentan genauso unwahrscheinlich wie eine «Kenia-Koalition» aus Schwarz, Rot und Grün.

Sie blicken in diesem wilden Farbenspiel nicht ganz durch? Dann sind Sie prima vorbereitet für die Verhandlungen, die unser nördliches Nachbarland in den kommenden Wochen, eventuell Monaten erwarten.

Gut möglich, dass Angela Merkel in diesem Jahr wider Willen ihre 17. Weihnachtsansprache als Kanzlerin halten wird. Und somit länger im Amt bliebe als sämtliche ihrer Vorgänger. Helmut Kohl (†87) amtete 5869 Tage. Merkel fehlen noch genau 82 Tage, um diesen Rekord zu brechen.

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