Massive Aufrüstung gegen Putins Raketen – deutscher Militärexperte sieht schwere Mängel auch in der Schweiz
Scholz will Europa unter eine Schutzglocke stellen

Kanzler Olaf Scholz fordert für Europa eine gemeinsame Luftabwehr. Der deutsche Militärexperte Ralph D. Thiele erklärt, wie die aussehen könnte und sagt, warum sich auch die Schweiz daran beteiligen sollte.
Publiziert: 29.08.2022 um 22:17 Uhr
Guido Felder

Wegen der Bedrohung aus Russland will der deutsche Kanzler Olaf Scholz (64) Europa zu einer Festung ausbauen. In einer Rede in Prag sprach er von einer gemeinsamen Luftverteidigung, die ein «Sicherheitsgewinn für ganz Europa» wäre. Grund: Ein gemeinsames Vorgehen wäre effizienter und kostengünstiger.

Deutschland werde in den kommenden Jahren erheblich in die Luftverteidigung investieren, kündigte Scholz an. Dies solle von Beginn an so gestaltet werden, dass sich europäische Nachbarn beteiligen könnten. Konkret nannte er die Niederlande, Polen, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, Tschechien, die Slowakei sowie die Partner in Skandinavien.

In Europa habe man bei der Verteidigung gegen Bedrohungen aus der Luft und aus dem Weltraum «erheblichen Nachholbedarf», sagte Scholz. Alle neuen Fähigkeiten sollten auch im Nato-Rahmen einsetzbar sein. Das Geld für die deutschen Investitionen könnte aus dem bereits angekündigten 100-Milliarden-Euro Topf kommen, mit dem Scholz in den kommenden Jahren die deutsche Armee modernisieren und stärken will.

2019 testeten die USA und Israel in Alaska eine Arrow-3-Rakete.
Foto: AFP
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Schutz mit Arrow 3

Wie könnte ein europäisches Luftabwehrsystem aussehen? Im Vordergrund steht laut dem ehemaligen Bundeswehr-Oberst Ralph D. Thiele (68), Präsident von Eurodefense (Deutschland) und Experte am Institut für Strategie-, Politik-, Sicherheits- und Wirtschaftsberatung in Berlin, das System Arrow 3.

Dieses von den USA und Israel entwickelte System kann mit Abwehrraketen ballistische Mittel- und Langstreckenraketen abfangen – und zwar ausserhalb der Atmosphäre. Abgeschossen werden die Raketen mit einer Reichweite bis zu 2400 Kilometern von mobilen Startvorrichtungen, die mit einer mobilen Radarstation verbunden sind.

Bekannt ist auch das System Iron Dome, das in Israel erfolgreich angewendet wird. Dieses richtet sich allerdings gegen Raketen mit sehr kurzer Reichweite und Artilleriemunition vor allem aus dem Gazastreifen. Es wäre für den Schutz von Europa nicht wirksam.

Deutschland plant, Arrow 3 für rund zwei Milliarden Euro einzuführen. «Wenn sich andere Staaten anhängen, haben wir bald eine gute Abwehrglocke über Europa, die auch gegen eine Bedrohung aus weit entfernten Ländern wie Iran, China und Nordkorea sowie aus dem All schützen kann», sagt Thiele.

Entwicklung Richtung Laser

Ein Problem für Arrow 3 seien allerdings modernste Waffen wie die russischen Hyperschallraketen. Wegen solcher Bedrohungen müsste die Abwehr weiter entwickelt werden. Thiele: «Die Technologie geht Richtung Abwehr mit Lasern.»

Die heutigen Abwehrsysteme in Europa seien völlig ungenügend, sagt Thiele. «Es herrscht ein offener Luftraum, der gegen moderne Angriffe ungeschützt ist.»

Aktuell hat Deutschland für den näheren Bereich und die Bekämpfung von Flugzeugen und Helikoptern die Luftabwehrrakete Stinger im Einsatz, die für einen Abschuss von der Schulter aus auch in die Ukraine abgegeben wurde. Auf die mittlere Distanz wirkt das grössere Patriot-System bis in Höhen von 30 Kilometern.

Schweiz würde profitieren

Auch die Schweiz habe Nachholbedarf, sagt Thiele: «Die Schweiz verfügt über viele kluge Köpfe, hat aber eine verrottete Technologie. Sie investiert viel zu wenig.» Er ist davon überzeugt, dass die Schweiz ebenfalls von einer gemeinsamen europäischen Luftverteidigung profitieren würde.

Thiele: «Es wäre eine Gelegenheit für die Schweiz, an ein gemeinsames System anzudocken und sich im Verbund gegen Angreifer zu verteidigen.»

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