Krisen, Streit und Separationsgelüste
Der Balkan bebt wieder

Jahrelang war es einigermassen ruhig. Nun beginnt der Balkan wieder zu beben. Gleich an mehreren Orten flackern Krisen neu auf. Balkan-Experte Daniel Bochsler schiebt einen Teil der EU zu.
Publiziert: 10.10.2018 um 09:40 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2018 um 12:06 Uhr
Guido Felder

Der Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre machte den Balkan zum grössten Krisengebiet Europas. Die bisher unter dem Deckel von Diktator Tito (†87) gehaltenen Völker suchten die Selbständigkeit, wobei historische Konflikte wieder aufloderten und Tausende von Toten forderten.

Erst durch die Vermittlung von EU, USA, Russland und Uno konnte 1995 das Friedensabkommen von Dayton unterzeichnet werden, worauf sich die Lage einigermassen beruhigte.

Doch nun beginnt der Balkan erneut zu beben. Gleich an mehreren Orten sind Konflikte ausgebrochen.

Im Norden Kosovos: Eine brennende Barrikade soll den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic vom Besuch der serbischstämmigen Bevölkerung abhalten.
Foto: AFP
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Abspaltung in Bosnien und Herzegowina

Der Vielvölkerstaat driftet nach den Wahlen vom Sonntag auseinander. Im neu gewählten Staatspräsidium, das sich aus je einem Vertreter der bosnischen Muslime, der bosnischen Serben und der bosnischen Kroaten zusammensetzt, sitzen zwei Nationalisten. Serbenvertreter Milorad Dodik (59) fordert eine Abstimmung über die Abspaltung des serbisch geprägten Teilstaats Republika Srpska und eine Vereinigung mit der benachbarten serbischen «Mutterrepublik». Auch die Kroaten fordern mehr Selbstbestimmung. Es droht der Zerfall des Landes!

Grenzstreit zwischen Serbien und Kosovo

Trotz Verhandlungen in Genf vergangene Woche kommen Serbien und der Kosovo im Grenzstreit nicht weiter. Zur Diskussion steht ein Gebietstausch: Der Nordkosovo, wo vor allem Serben leben, könnte an Serbien gehen, albanische Gebiete in Südserbien dafür an den Kosovo. Tausende Albaner forderten bei Demonstrationen einen Verhandlungsabbruch.

Namensstreit in Mazedonien

Auch nach dem Ja zu einem Namenswechsel des Landes ist der Weg in die EU noch nicht besiegelt. Weil die Stimmbeteiligung von 50 Prozent nicht erreicht wurde, ist die Abstimmung vom 30. September nicht gültig. Die Gegner der Umbenennung in Nord-Mazedonien (um sich von der griechischen Provinz Makedonien zu unterscheiden) werden den «Landesverrat» weiter bekämpfen.

Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien

2017 fällte das europäische Schiedsgericht ein Urteil, das grosse Teile der Bucht von Piran Slowenien zuspricht. Kroatien aber anerkennt das Urteil nicht. Immer wieder kommt es zu Schikanen der Behörden gegenüber den Fischern. 

Warum lodern diese Konflikte jetzt wieder auf?

Daniel Bochsler (39), Professor für Nationalismus und Politikwissenschaft an der Central European University in Budapest, hat mehrere Jahre im ehemaligen Jugoslawien geforscht. Die Konflikte seien nicht neu, würden aber jetzt unter anderem wegen Wahlen und Verhandlungen mit der EU wieder lauter, erklärt er gegenüber BLICK. Bochsler: «Konflikte mit Nachbarländern oder mit Minderheiten sind ein willkommenes Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen, etwa der Korruption und kriminellen Machenschaften der Politiker.»

Und zu den Separationsgelüsten der Serben in Bosnien und Herzegowina sagt er: «Dodik kündigt immer dann ein Unabhängigkeits-Referendum an, wenn er seine Macht zementieren will.»

Bochsler sieht klar die EU in der Pflicht. Sie habe seit der Griechenland-Krise den Westbalkan vergessen. Dabei sei für diese Staaten die Aussicht auf einen EU-Beitritt enorm wichtig, da die EU-Integration Anreiz sei, die Demokratien auf Vordermann zu bringen. Bochslers Urteil: «Die EU macht zu wenig, sie hat ihre Glaubwürdigkeit verloren.»

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