Kreml-Kritiker bezahlt Kampf gegen Putin mit dem Leben
So wurde Nawalny zum russischen Staatsfeind Nummer 1

Alexej Nawalny hat seinen unerschrockenen Kampf gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wie viele prominente Kreml-Kritiker vor ihm mit dem Leben bezahlt. Wie es so weit kommen konnte.
Publiziert: 16.02.2024 um 15:27 Uhr
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Aktualisiert: 17.02.2024 um 10:30 Uhr
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Alexej Nawalny (†47), der schärfste Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin (71), ist tot. Er ist am Freitag in der «Strafkolonie Nummer 3» nach einem Spaziergang gestorben, meldet die Gefängnisverwaltung. Das Team rund um Nawalny hat seinen Tod noch nicht bestätigt. Auch sein enger Freund Wladimir Aschurkow (51) sagt zu Blick: «Wir haben noch keine Bestätigung von Nawalnys Tod.» Darum möchte er sich aktuell noch nicht weiter äussern.

Es werden bereits erste Stimmen laut, die den Tod des Aktivisten als politisches Attentat bezeichnen – von Putin persönlich in Auftrag gegeben. Doch wie wurde Nawalny vom Blogger und Politiker zum grössten Feind des russischen Staats?

Der Kampf gegen die Korruption

So richtig bekannt wurde der ehemalige Anwalt Nawalny durch Blogs, in denen er die seiner Meinung nach weit verbreitete Korruption in der russischen Elite aufdeckte. Für ihn war klar: Russland wird von «Gaunern und Dieben» regiert.

Der wohl bekannteste Staatsfeind Russlands, Alexej Nawalny, ist tot.
Foto: keystone-sda.ch
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Er blieb dem Kreml jahrelang ein Dorn im Auge, indem er einen Palast am Schwarzen Meer, der für Putins persönlichen Gebrauch gebaut wurde, Villen und Yachten, die vom ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew genutzt wurden, und eine Sexarbeiterin, die einen hochrangigen aussenpolitischen Beamten mit einem bekannten Oligarchen in Verbindung brachte, identifizierte.

Im März, Juni sowie am 7. Oktober 2017 – dem Geburtstag Putins – organisierte er landesweite Proteste gegen Korruption und gegen die Regierung, an denen Zehntausende Menschen teilnahmen.

Der Versuch in der nationalistischen Politik

In den 2000er-Jahren nahm er an nationalistischen Aufmärschen in Russland teil. 2007 wurde er aus der liberalen Oppositionspartei Jabloko ausgeschlossen. Der Grund: Seine Forderungen nach Einwanderungsbeschränkungen und seine für einige zu nationalistischen Ansichten.

Von 2009 bis 2013 nahm er, auch als Redner, an den teils als rechtsextrem eingestuften Russischen Märschen teil. Später distanzierte er sich teilweise und bezeichnete sich selbst als «nationalistischen Demokraten». Die zuvor bereits verbreiteten rechtsextremistischen Parolen allerdings wurden von ihm lediglich als weniger radikal klingend umformuliert, ohne sie tatsächlich inhaltlich zu verändern.

Der Höhepunkt seiner politischen Karriere war 2013, als er bei einer Moskauer Bürgermeisterwahl, die nur wenige für frei oder fair hielten, 27 Prozent der Stimmen erhielt. Seit November 2013 ist er Vorsitzender der Kleinpartei Russland der Zukunft.

Im Dezember 2016 kündigte er seine Kandidatur für die russischen Präsidentschaftswahlen 2018 an. Am 25. Dezember 2017 erklärte die Zentrale Wahlkommission Russlands seine Kandidatur für nicht zulässig. Daraufhin rief er seine Anhänger zum Boykott der Präsidentschaftswahl auf.

Gefangen im Netz der russischen Justiz

Als im Dezember 2011 nach einer von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl Demonstrationen gegen Putin aufflammten, war er einer der ersten Protestführer, die verhaftet wurden. Es war die erste von Dutzenden Inhaftierungen, die noch folgen sollten.

Im Juli 2013 wurde Nawalny in einem Prozess wegen Unterschlagung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 2013 wurde diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Februar 2016 setzte der Oberste Gerichtshof Russlands das Urteil aus. Es kam zur Neuaufnahme des Prozesses, in der er im Februar 2017 erneut zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde.

Russlands Staatsfeind Nummer 1

Im Jahr 2020 fiel Nawalny nach einer mutmasslichen Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok durch den russischen Sicherheitsdienst FSB ins Koma und wurde zur Behandlung nach Deutschland evakuiert. Nach seiner Genesung kehrte er im Januar 2021 nach Russland zurück, wo er wegen Verstosses gegen die Bewährungsauflagen verhaftet und zu seiner ersten von mehreren Haftstrafen verurteilt wurde, die sich insgesamt auf mehr als 30 Jahre hinter Gittern belaufen sollten.

Anfang Dezember 2023 war er aus einem Gefängnis in der Region Wladimir nordöstlich von Moskau verschwunden. «Wir sind in grosser Sorge», sagte Wladimir Aschurkow, enger Freund Nawalnys und langjähriger Verbündeter, damals zu Blick am Telefon. Drei Wochen darauf wurde klar: Er wurde vom Straflager IK-6 in Melechowo bei Wladimir ins Straflager IK-3, auch «Polarwolf» genannt, nördlich des Polarkreises verlegt.

IK-3 hat immer als Kolonie für «besonders gefährliche Wiederholungstäter» fungiert, schreibt die unabhängige «Moscow Times». Ehemalige IK-3-Häftlinge berichten von physischer und psychischer Brutalität. Es fehle auch an Kleidern, zum Teil würden nur ein Paar Winterstiefel und ein abgenutzter Anzug abgegeben. Teilweise würden die Gefangenen in Zellen ohne Tageslicht und warmem Wasser eingesperrt werden. Einige beschuldigen die Gefängniswärter der Folter.

Ein rätselhafter Tod

Nun scheint der russische Staat das geschafft zu haben, was er bereits mit dem Giftanschlag 2020 versucht hatte: Alexej Nawalny ist tot. «In der Strafkolonie Nr. 3 hat der Sträfling Nawalny A. A. nach einem Spaziergang angefangen, sich schlecht zu fühlen und verlor fast sofort das Bewusstsein», meldet der Strafvollzugsdienst.

«Umgehend rückte das medizinische Personal der Einrichtung aus, und eine Ambulanz wurde angefordert. Es wurden alle erforderlichen Wiederbelebungsmassnahmen durchgeführt, die jedoch keine positiven Ergebnisse brachten. Die Ärzte der Ambulanz stellten den Tod des Verurteilten fest. Die Todesursache wird untersucht», heisst es in der Mitteilung.

Nawalnys Team hat seinen Tod bisher nicht bestätigt. «Der Föderale Strafvollzugsdienst für den Bezirk Jamal-Nenzen verbreitet Nachrichten über den Tod von Alexej Nawalny in der Strafkolonie 3. Wir haben dafür noch keine Bestätigung», heisst es im offiziellen Telegram-Channel. Nawalnys Anwalt Leonid Solowjow sei aktuell auf dem Weg zur Strafkolonie. Er habe Nawalny zuletzt am Mittwoch gesehen, dem 47-Jährigen sei es gut gegangen.

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