Keine Hilfe für Seenotrettung – Ex-SRG-Boss Roger de Weck (69) kritisiert neue italienische Ministerpräsidentin
«Wenn es Schweizer wären, würde man keine Sekunde zögern»

Vor der Küste Italiens warten mehrere Seerettungsschiffe auf die Möglichkeit, anzulegen. Doch die neue italienische Ministerpräsidentin bleibt hart. Publizist Roger de Weck (69) macht sich für die Rettungsorganisationen und die Flüchtlinge stark.
Publiziert: 04.11.2022 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2022 um 09:47 Uhr
Guido Felder

Die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (45) greift knallhart durch: Seenotrettungsschiffe mit Migranten werden nicht mehr an Land gelassen. Auf mehreren Schiffen im Mittelmeer befinden sich zurzeit 985 Gerettete, die zum Teil dringend Hilfe brauchen. Langsam gehen die Vorräte zur Neige, das Wetter verschlechtert sich.

Eines der Rettungsschiffe ist die «Ocean Viking», die zurzeit südwestlich von Sizilien kreuzt. An Bord sind 234 Migranten, die zwischen dem 22. und 26. Oktober aus sechs in Seenot geratenen Booten gerettet worden waren und nun durch die Crew verpflegt und gepflegt werden.

Zwölf Absagen

Der ehemalige SRG-Direktor und Chefredaktor der Zeitungen «Tages-Anzeiger» und «Die Zeit», Roger de Weck (69), ist Vorstandsmitglied der humanitären Organisation SOS Méditerranée Schweiz, welche die «Ocean Viking» betreibt. Er ist in Sorge. «Es war unter den vorherigen Regierungen Italiens schon schwierig, gerettete Menschen an Land zu bringen. Unter der neuen Regierung ist es sogar extrem schwierig geworden», sagt er zu Blick.

Die Crew der «Ocean Viking» holte diese Migranten am 25. Oktober an Bord.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images
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Inzwischen hat das Rettungsschiff zwölfmal um Erlaubnis angefragt, einen Hafen in Italien oder Malta anzulaufen. Immer gab es eine Absage.

Auf der Homepage von SOS Méditerranée Schweiz schreibt Geschäftsführerin Caroline Abu Sa’Da (43): «Es wäre Ausdruck eines dramatischen Versagens der EU- und assoziierten Staaten, wenn weiter Überlebende auf Schiffen als Geiseln politischer Debatten gehalten werden.»

Meloni kämpft gegen Schleuser

Gleich zum Amtsantritt am 22. Oktober hatte die rechte italienische Ministerpräsidentin ihre Position klargemacht: «Diese Regierung will einen bis heute kaum beschrittenen Weg gehen: Die illegalen Abreisen stoppen und endlich den illegalen Menschenhandel im Mittelmeer zerbrechen.»

Sie wolle nicht das Asylrecht für diejenigen zur Diskussion stellen, die vor Hinrichtungen flöhen, sagte Meloni. Man wolle lediglich verhindern, dass Schleuser entscheiden, wer nach Italien kommen dürfe.

Ihr Lösungsansatz: Sie will in Nordafrika in Zusammenarbeit mit den dortigen Behörden Zentren einrichten. Hier sollen internationale Organisationen prüfen, welche Migranten Anrecht auf Asyl hätten und nach Europa transportiert würden.

Über 36'000 Menschen gerettet

Immer wieder tauchen Vorwürfe auf, wonach Schlepper Seenotrettungsorganisationen informierten, wann und wo Migrantenboote in See stechen würden. Schlepper bestätigen dies. Roger de Weck aber sagt: «Wissenschaftliche Studien und auch die Erfahrung haben längst widerlegt, dass die Gegenwart von Seenotrettungsschiffen Menschen zur Flucht über das Meer einladen. Ohne Retter gibt es einfach noch mehr Tote. Und es besteht nicht die geringste Zusammenarbeit mit Schleppern.»

Roger de Weck betont, dass SOS Méditerranée seit der Gründung vor sieben Jahren über 36'000 Leben gerettet habe. «Wir befassen uns nicht mit Politik, sondern retten Menschen», sagt er. Und er ergänzt: «Würde es bei den Menschen in Not um Schweizer handeln, würde man keine Sekunde zögern, sie zu retten. Warum soll man sich bei Menschen anderer Nationalitäten anders verhalten?»

Am Donnerstagmittag hat SOS Méditerranée die französischen, spanischen und griechischen Seebehörden sowie andere Länder aufgefordert, die Rettungsschiffe zu unterstützen und eine sofortige Anschiffung an einem sichern Ort zu ermöglichen. Die Organisation bezeichnet die Blockade auf See als nicht nur «eine Schande, sondern auch eine eklatante Verletzung des internationalen Seerechts und des humanitären Rechts».

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