Irre Waffengesetze können jeden treffen
In diesen US-Staaten gilt «erst schiessen, dann fragen»

Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren, ist in den USA unlängst auf zwei Unbewaffnete geschossen worden. Die Fälle entfachen die Diskussion um die sogenannten Stand-Your-Ground-Gesetze neu.
Publiziert: 19.04.2023 um 18:19 Uhr
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Aktualisiert: 20.04.2023 um 11:16 Uhr
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Georg NopperRedaktor News

In der vergangenen Woche ist Ralph Y.* (16) im US-Bundesstaat Missouri von zwei Kugeln verletzt worden, nachdem er an der falschen Haustür geklingelt hatte. Kaylin G.* (†20) starb im Bundesstaat New York, weil sie eine falsche Einfahrt erwischte und erschossen wurde. Die Vorfälle werfen einmal mehr Fragen im Zusammenhang mit der US-Waffengesetzgebung auf.

Abhängig davon, wo jemand lebt, gibt es in den USA sogenannte Stand-Your-Ground-Gesetze. Diese erlauben es bei Todes- oder Verletzungsgefahr, sich mit angemessener Gewalt, einschliesslich tödlicher Gewalt, zu verteidigen. Die Gesetze, die den Einsatz von Waffengewalt gestatten, sehen etwa im Verteidigungsfall bei einem Einbruch oder bei unerlaubtem Betreten des Grundstücks keine Rückzugspflicht vor. Kritiker bemängeln, dass es somit erlaubt sei, einfach draufloszuschiessen. Sie bezeichnen die Bestimmung daher als Shoot-First-Gesetze.

In 38 von 50 Bundesstaaten

Die Regelungen setzen die im amerikanischen Recht etablierte Pflicht ausser Kraft, vor einem Angreifer zurückzuweichen, bevor man zu Massnahmen greift, die eine andere Person töten oder schwer verletzen können. Die Stand-Your-Ground-Gesetze sind recht schwammig und haben einen grossen Interpretationsspielraum: Wenn Angeklagte sich auf ein Stand-Your-Ground-Gesetz berufen, um ihre Handlungen zu verteidigen, geht es oft darum, ob ihre Gewaltanwendung angesichts der wahrgenommenen Bedrohung als angemessen bezeichnet werden kann oder nicht.

In vielen US-Bundesstaaten ist es zu Selbstverteidigungszwecken erlaubt, tödliche Gewalt anzuwenden. Selbst dann, wenn man der Gefahr aus dem Weg gehen könnte.
Foto: keystone-sda.ch
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Als erster Bundesstaat setzte Florida 2005 ein solches Gesetz in Kraft. Inzwischen gibt es in 38 von 50 Bundesstaaten Stand-Your-Ground-Gesetze. Die Pflicht, im Falle eines Angriffs zurückzuweichen, entfällt in den folgenden Bundesstaaten: Alabama, Alaska, Arizona, Arkansas, Florida, Georgia, Idaho, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nevada, New Hampshire, North Carolina, North Dakota, Ohio, Oklahoma, Pennsylvania, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, West Virginia und Wyoming. Die Anwendung tödlicher Gewalt zur Selbstverteidigung ist in Colorado, Illinois, Kalifornien, New Mexico, Oregon, Vermont, Virginia und Washington explizit erlaubt.

Aktuelle Fälle vor Gericht

Auch in Missouri, wo auf Ralph Y. geschossen wurde, gilt ein Stand-Your-Ground-Gesetz. In dem Fall wurde bereits ein Mann (84) angeklagt. Eine grössere Chance auf Gerechtigkeit hat Kaylin G., die im Bundesstaat New York gewaltsam ums Leben kam. Dort gibt es kein Stand-Your-Ground-Gesetz. Der für den Tod von Kaylin G. verantwortliche Schütze wurde wegen Mordes zweiten Grades angeklagt.

Statistiken zeigen, dass in Bundesstaaten mit Stand-Your-Ground-Gesetzen die Zahl der Tötungsdelikte um zehn Prozent oder mehr gestiegen ist. Daten zeigen zudem, dass die Stand-Your-Ground-Gesetze rassistische Ungleichheiten im Strafrechtssystem verstärken. In Bundesstaaten mit lockerem Waffengesetz werden 11,4 Prozent der Tötungsdelikte von Weissen gegen Schwarze als gerechtfertigt angesehen, verglichen mit nur 1,2 Prozent der Tötungsdelikte von Schwarzen gegen Weisse.

Ein Fall, der für besonders grosses Aufsehen sorgte, trug sich im Jahr 2012 zu, als der Nachbarschaftswächter George Zimmerman (39) in Florida den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin (†17) erschoss. Die Anwälte von Zimmerman beriefen sich auf das Recht auf Notwehr und erklärten, ihr Mandant habe in Selbstverteidigung gehandelt. Die tödliche Gewaltanwendung sei gerechtfertigt gewesen. Zimmerman wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen. Der Fall löste landesweite Proteste aus.

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