Deshalb befindet sich Venezuela in der Krise
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BLICK erklärt:Deshalb befindet sich Venezuela in der Krise

In Zürich lebender Exil-Venezolaner über die Krise im Heimatland
«Wir stehen hinter Juan Guaidó»

Robert Dietrich (28) ist in Caracas aufgewachsen und lebt in Zürich. Im SonntagsBlick schildert der Schweiz-Venezolaner, wie sein Land in die Krise schlitterte.
Publiziert: 17.02.2019 um 00:22 Uhr
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Aktualisiert: 18.02.2019 um 11:16 Uhr
Aufgezeichnet: Fabienne Kinzelmann

«Das Venezuela, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr. Menschen wühlen auf der Suche nach Essen im Müll, Babys sterben, weil Medikamente fehlen, ab sechs Uhr abends ist Sperrstunde – dann ist meine Heimatstadt Caracas tot. Als ich das letzte Mal da war, im Dezember 2016, organisierte meine Mutter den Haushaltseinkauf mit den Nachbarn über Whatsapp. Wenn es in einem Supermarkt Öl gab, schrieb das jemand, und es rannten gleich alle los. Man wusste ja nie, wann es das nächste Mal zu bekommen ist.

Als mein Vater, ein Schweizer, in den Achtzigern nach Venezuela kam, war das Land eines der reichsten des Kontinents. Es gab eine breite Mittelschicht und alles, was man brauchte. Meine Schwester und ich gingen auf die deutsche Schule.

Das Öl machte Chávez beliebt

Ich war acht, als Oberstleutnant Hugo Chávez an die Macht kam. Kurz danach gab es die erste 
poli­tische Krise. Bei 
einer ­Massenkundgebung 2002 wurden 19 Menschen getötet. Trotzdem konnte sich Chávez halten. Denn der Ölpreis ging nach oben. Mit vollen Händen verteilte Chávez das Geld in der ­Bevölkerung. Das war nicht nachhaltig, machte ihn aber beliebt. Das rote Logo der staatlichen Erdölgesellschaft war dauer­präsent.

Dann machte Chávez ­einen Fehler: 2007 entzog er dem grössten privaten Sender RCTV die Lizenz. An jenem Sonntag sassen wir alle vor dem Fernseher. Stars traten auf und sangen die Nationalhymne. Um Mitternacht war das Signal weg. Auf einen Schlag war die Pressefreiheit stark eingeschränkt. Das nahm uns richtig mit.

Robert Dietrich (28) kam 2010 zum Studium in die Schweiz. Mittlerweile arbeitet er als Unternehmensberater in Zürich.
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In Angst vor «Blitzentführungen»

Kurz danach verlor Chávez eine Volksabstimmung. Er wollte aus Venezuela ­offiziell einen kommunistischen Staat machen. Heimlich schlich ich aus der Schule zur Plaza Brión, wo die Studenten protestierten. Sie waren erfolgreich, das Referendum scheiterte. Aus der Studentenbewegung von damals ging auch die Partei von Juan Guaidó hervor.

Zum Studium in die Schweiz kam ich auch aus Sicherheitsgründen. Caracas wurde immer gefährlicher. «Blitzentführungen» waren normal: Du wirst einfach auf dem Weg zur Schule abgefangen, und dann muss deine Familie 
an die drei Monatsgehälter zahlen, damit du wieder freikommst. Gerade so viel, wie man schnell bei den Verwandten auftreiben konnte. Einem Freund von mir ist das passiert.

Für die venezolanische Studentenbewegung habe ich mich als Wahlbeobachter engagiert. Die Zusammenarbeit mit der Botschaft in Bern war problemlos, aber die Regierung hat immer mehr Gesetze erlassen, um Exil-Venezolaner am Wählen zu hindern. Nach 2013, der ersten umstrittenen Wahl von Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro, durften wir gar nicht mehr wählen.

Zum Glück wurde Guaidó unterschätzt

Wir Exil-Venezolaner stehen hinter Juan Guaidó. Er stand lange in der zweiten Reihe, aber wir in der Studentenbewegung kannten ihn alle. Zum Glück hat ihn die Regierung so unterschätzt! Sonst sässe er wie andere Oppositionsführer schon längst im Gefängnis.

Drei Millionen Venezolaner haben das Land seit ­Beginn der Krise 2014 verlassen, denn der Alltag wurde immer schwieriger.

Eine Krankenversicherung gab es nicht mehr. Welche Prämie soll man bei einer Hyperinflation von ­einer Million Prozent auch zahlen? Meine Eltern sind vor einem Jahr nach Spa­nien gezogen. Aber meine Oma ist noch in Venezuela, sie ist jetzt 87. Über Bekannte schickt ihr meine Mutter Medikamente. Schwierig ist es für Familien, die keine Verwandten im Ausland ­haben – sie leiden richtig.

100 Tonnen Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel hängen aktuell an der Brücke von Kolum­bien nach Venezuela fest. Maduro blockiert sie, weil er die Krise leugnet und Angst vor einer ­Intervention der USA hat. Die Venezolaner wollen die Hilfsmittel jetzt selbst über die Grenze schaffen. Über eine Website organisieren sie sich, um beispielsweise die blockierten LKW zu fahren. Hoffentlich lassen die Soldaten das zu.» 

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