In Mossul lernten sie unter dem IS Mathe mit Munition
Wenn Kinder Panzer statt Bäume zeichnen

In Mossul erlebten Kinder unter dem IS die Hölle. Jetzt sind viele in Camps in Sicherheit. Ihre Väter rasieren sich vor Erleichterung die Bärte ab und freuen sich darüber, dass der Nachwuchs endlich wieder die Schule besuchen kann.
Publiziert: 21.02.2017 um 14:05 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:32 Uhr
Guido Felder

In Mossul keimt Hoffnung auf. Haus für Haus erobert die irakische Armee mit Hilfe der internationalen Koalition die nordirakische Stadt wieder zurück, die der IS 2014 eingenommen hat. Zurzeit läuft die Schlacht um den Westteil, wohin sich die Dschihadisten zurückgezogen haben. Ist der IS in Mossul besiegt, gilt dies als Ende des Islamischen Staates im Irak.

Provisorisches Schulzimmer im Camp: Save the Children sorgt dafür, dass die Kinder unterrichtet werden.
Foto: Gabriele François Casini/Save the Children

Hunderttausende Zivilisten sind in den vergangenen Monaten aus der umkämpften Stadt geflohen. Viele leben in einem der Flüchtlingslager nahe Mossul.

Eines davon ist das Jad'ah Camp, 80 Kilometer südlich von Mossul. Es bietet über 1000 Familien ein vorübergehendes Zuhause.

Im Jed'ah Camp bei Mossul: Endlich können die Kinder wieder zur Schule.
Foto: Bilder Save the Children
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Sie zeichnen Panzer statt Bäume

Besuchte das Jad'ah Camp: die Australierin Lily Partland.

Die Australierin Lily Partland konnte das Lager besuchen. Die ehemalige Journalistin ist zurzeit als Medienmanagerin für die Kinderschutz-Organisation Save the Children im Einsatz. Sie hat mit vielen Eltern über die Herrschaft des IS geredet.

Partland berichtet Haarsträubendes: «Die Eltern erzählten mir, dass die Kinder in der Schule nicht lachen durften. Dass sie mit Kugeln rechnen lernten: Eine Kugel plus eine Kugel gibt zwei Kugeln. Dass sie Panzer statt Bäume zeichneten. Dass sie lernten zu kämpfen und zu töten. Dass sie sich jeden Tag gewaltsame Propagandavideos ansehen mussten. Dass manche Kinder mit gerade einmal zwölf Jahren als Kindersoldaten rekrutiert wurden.»

Im Jed'ah Camp leben zurzeit über 1000 Familien.
Foto: Simine Alam/Save the Children

Eine Million Kinder seien gezwungen worden, einen extremistischen und gewalttätigen Unterricht zu besuchen, oder konnten überhaupt nicht zur Schule gehen. Viele mussten mitansehen, wie Familienmitglieder getötet wurden. Auf der Strasse zu spielen, war verboten. Das Leben unter dem IS: ein Albtraum!

Die Familien möchten baldmöglichst in ihre Heimat zurück

Die Organisation Save the Children will die Kinder wieder in den normalen Alltag zurückführen. Sie ermöglicht es, dass sie in den Camps eine provisorische Schule besuchen können.

Die Familien sind erleichtert. Die Leute in den Lagern geniessen wieder bisher verbotene Freuden – zum Beispiel das Rauchen. Partland: «Ein Vater erzählte mir, dass er und die anderen Männer sich sofort ihre Bärte abrasierten, als sie im sicheren Camp ankamen.» Die Kinder spielen wieder draussen und freuen sich über einfache Dinge wie Fussbälle und andere Spielzeuge.

Die Kinder im Camp freuen sich über einfache Spielsachen.
Foto: Simine Alam/Save the Children

Die Flüchtlinge hoffen, dass sie möglichst bald wieder in ihre Heimat zurückkehren können. «Die Erwachsenen wollen unbedingt arbeiten und die Kinder in die Schule schicken», sagt Lily Partland.

Zuerst aber muss die Armee den Westteil Mossuls zurückerobern. Sie rechnet mit grossem Widerstand. Save the Children schätzt, dass da rund 350'000 Kinder festsitzen. Maurizio Crivallero, Irak-Direktor von Save the Children: «Die Kinder in West-Mossul stehen vor einer makaberen Wahl. Bomben, Feuergefechte und Hunger, wenn sie bleiben – oder Hinrichtung und Scharfschützen, falls sie versuchen zu fliehen.»

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