Der Grossteil von Mariupol ist zerstört
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Stadt in Schutt und Asche:Der Grossteil von Mariupol ist zerstört

«Ich bin mir sicher, dass ich bald sterbe»
Ukrainerin berichtet über den Horror im belagerten Mariupol

In der Ukraine tobt seit fast einem Monat Krieg, die Hafenstadt Mariupol ist besonders betroffen. Die Menschen dort leben in ständiger Erwartung zu sterben. Eine Ukrainerin vor Ort berichtet, wie sie die furchtbare Zeit erlebt.
Publiziert: 22.03.2022 um 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2022 um 16:21 Uhr

Putins Truppen versuchen, seit Wochen Mariupol einzunehmen. Es ist die letzte grosse Hafenstadt am Asowschen Meer unter ukrainischer Kontrolle. Immer wieder fallen Schüsse und Bomben. Seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar wurden nach Angaben der ukrainischen Regierung mehr als 2100 Einwohner der Stadt getötet.

Nadeschda S.* erlebte in Mariupol den ganzen Horror des Krieges. In der Vergangenheit hat sie als TV-Reporterin gearbeitet. Doch in der letzten Zeit war an die Arbeit nicht mehr zu denken, nur ans Überleben. Rund zwei Wochen verbrachte die Ukrainerin zusammen mit ihrer Hündin Angi und anderen Menschen in einem Luftschutzkeller, in der Nähe ihres Hauses.

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Vor einigen Tagen schaffte sie es, die umkämpfte Hafenstadt zu verlassen und Unterschlupf in der Siedlung Mangusch zu finden. Seit sie in Sicherheit ist, schildert S. auf Facebook ausführlich ihre Erlebnisse aus der Zeit in Mariupol. Am Samstag postete sie besonders bewegende Worte.

Die Russen versuchen seit Wochen die Hafenstadt Mariupol einzunehmen.
Foto: IMAGO/SNA
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«Ich gehe raus auf die Strasse in den Pausen zwischen den Bombenangriffen. Ich muss meine Hündin Gassi führen. Sie jault, zittert die ganze Zeit und versteckt sich hinter meinen Beinen. Ich fühle mich die ganze Zeit schläfrig. Mein Hof, der von Hochhäusern umgeben ist, ist ruhig und tot. Ich habe keine Angst mehr, mich umzusehen. Gegenüber brennt der Eingang des Hauses Nummer 105 ab. Die Flammen haben sich durch fünf Stockwerke gefressen und fressen sich langsam durch das sechste.» Sie starre das Bild «ruhig und resigniert» an.

«Ich wünsche mir, dass der Tod nicht so schrecklich sein wird»

«Ich bin mir sicher, dass ich bald sterbe. Das ist nur eine Frage von Tagen. In dieser Stadt warten alle die ganze Zeit auf den Tod. Ich wünsche mir nur, dass er nicht so schrecklich sein wird», schreibt sie.

Vor drei Tagen sei ein Freund ihres ältesten Neffen in den Keller, wo sie sich zusammen mit anderen Menschen in letzter Zeit versteckt hatte, zu ihnen gekommen und habe erzählt, dass die Feuerwache getroffen worden sei. Einige Rettungskräfte seien gestorben. «Einer Frau wurden ein Arm, ein Bein und der Kopf weggesprengt. Ich wünsche mir, dass meine Körperteile noch dran sind, selbst nach der Explosion einer Fliegerbombe. Ich weiss nicht wieso, aber das scheint mir wichtig zu sein.»

Gleichzeitig – schreibt sie weiter – könne in der aktuellen Zeit sowieso keiner beerdigt werden. Kürzlich hätten sie und andere Menschen einen Polizisten auf der Strasse gefragt, was man mit der toten Grossmutter eines Bekannten tun solle. Der Polizist habe geraten, die Leiche auf einem Balkon zu lagern. «Wie viele Leichen liegen wohl derzeit auf den Balkonen rum?», fragte sie sich danach.

«Die Stille erinnert an einen Friedhof»

Die Stille auf der Strasse erinnere sie an einen Friedhof. «Es gibt keine Autos, keine Stimmen, keine Kinder, keine Omas, die auf den Bänken sitzen. Sogar der Wind ist tot. Ein paar Leute gibt es hier dennoch. Sie liegen an der Seite des Hauses und auf dem Parkplatz, bedeckt mit ihrer Oberbekleidung. Ich möchte sie nicht ansehen. Ich habe Angst, dass ich jemanden sehe, den ich kenne.»

Das ganze Leben ihrer Stadt finde derzeit in den Kellern. Sie versuche zu weinen, aber es gelinge ihr nicht. Sie könne sich nach diesen Wochen kaum mehr vorstellen, dass es mal ein anderes Leben gegeben habe. (man)

* Name bekannt

Alle Infos zum Krieg in der Ukraine finden Sie in unserem Ticker.

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