«Historischer Prozess»
Millionenerbin lässt Bürger über ihr Vermögen entscheiden

In Österreich finden an sechs Wochenenden Treffen von 50 ausgewählten Bürgern statt. Das Ziel: Gemeinsam sollen sie bestimmen, was mit den 25 Millionen der Erbin Marlene Engelhorn passiert.
Publiziert: 17.03.2024 um 15:21 Uhr
|
Aktualisiert: 17.03.2024 um 16:40 Uhr

In Österreich hat ein ungewöhnlicher Bürgerrat seine Arbeit aufgenommen: 50 Frauen und Männer trafen sich am Wochenende erstmals in Salzburg, um in den kommenden Monaten darüber zu entscheiden, wie 25 Millionen Euro aus dem Vermögen der 31-jährigen Erbin Marlene Engelhorn an die Allgemeinheit verteilt werden sollen. Die deutsch-österreichische Sozialaktivistin gab selbst den Anstoss zu diesem Sozialexperiment. 

In die Beratungen über die Verwendung des Geldes mischt sich Engelhorn aber nicht ein. «Auf das Ergebnis habe ich keinen Einfluss», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur kurz vor Beginn des Prozesses. Die Millionenerbin sieht ihre Aktion als richtungsweisenden Akt zur Stärkung der Demokratie. «Niemand soll sich einbilden, die eigene Komfortzone ist wichtiger als das gute Leben für alle», sagte sie.

Heterogene Gruppe aus allen Schichten

Für den eigens gegründeten «Guten Rat für Rückverteilung» waren 10'000 Menschen ab 16 Jahren in Österreich als mögliche Teilnehmer angeschrieben worden. Knapp 1500 bekundeten ihr Interesse. Schliesslich wurden 50 repräsentativ ausgewählt, so dass Menschen aus allen Altersgruppen, Einkommensschichten, Bildungsstufen und Regionen vertreten sind. Die Gruppe sei «sehr heterogen», doch die Mitglieder seien gleich sehr positiv aufeinander zugegangen, sagte Alexandra Wang, die Projektleiterin des Rates, der dpa am Sonntag. «Das ist ein historischer Prozess», sagte sie. «Diese Energie, die spüren alle.»

Marlene Engelhorn setzt sich gegen Steuerprivilegien für Reiche ein.
Foto: AFP
1/4

Bis zum Juni soll an sechs Wochenenden ein Plan für die Vergabe des Geldes erarbeitet werden. An diesem Samstag und Sonntag standen aber noch keine konkreten Projekte im Vordergrund. Mithilfe von Moderatoren wurden zuerst grundsätzliche Fragen sozialer und steuerlicher Gerechtigkeit bearbeitet: Wie beeinflusst die Vermögensverteilung, die Gesellschaft, die Politik und das Klima?

«Es ist keine wilde Charity-Aktion nach dem Motto, ich suche mir irgendeine NGO aus, sondern es ist wirklich eine grosse Systembeleuchtung», sagt Engelhorn. Sie selbst setzt sich für die Wiedereinführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern in Österreich ein. Dies würde voraussichtlich einen Milliardenbetrag einspielen, mit dem eine Kindergrundsicherung finanziert werden könnte, sagt die Erbin.

Engelhorn bezeichnet sich als Person, die in «Geburtslotterie» gewann

Der «Gute Rat» kann weitgehend frei entscheiden. Es gibt jedoch Einschränkungen: Die Millionen dürfen nicht für «verfassungsfeindliche, lebensfeindliche oder menschenverachtende» Zwecke ausgegeben werden, sagte Wang. Auch Investitionen in profitorientierte Firmen und in die eigene Tasche der Ratsmitglieder sind tabu. Die Mitglieder erhalten jedoch pro Wochenende 1200 Euro. Für Organisation, Anfahrt, Aufenthalt und Kinderbetreuung hat ihnen Engelhorn weitere drei Millionen Euro bereitgestellt.

Das Geld stammt aus einer Übertragung von Engelhorns Grossmutter. Die Erbin stammt aus einer reichen Industriellenfamilie, die das Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim in den 1990er-Jahren an den Schweizer Konzern Roche verkaufte. Die Erbin betrachtet sich selbst als «hochprivilegierte Bummel-Studentin» der Germanistik, die in der «Geburtslotterie» gewonnen hat.

Ihre Aktion unterscheide sich von Spenden durch Millionäre und Milliardäre, weil die Vergabe von Geld in der Hand der Gesellschaft und nicht in der Hand Einzelner liegen dürfe, sagt Engelhorn. Für sich selbst behalte sie noch einen bestimmten Betrag, der ihr den Übergang in das Berufsleben erleichtern solle, sagt Engelhorn, die sich einen Job mit gesellschaftspolitischem Aspekt vorstellen kann. Sie sei aber weiterhin eingebettet in eine vermögende Familie und in ein sehr gutes Netzwerk. «Meine Privilegien fangen mich auch nach der Rückverteilung auf», sagte die 31-Jährige. (SDA)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?