Hilfsorganisationen setzen Aktionen im Mittelmeer aus
Retter unter Beschuss

Die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer wird geschlossen. Jetzt nimmt die von Europa unterstützte libysche Küstenwache die privaten Seenotretter ins Visier.
Publiziert: 15.08.2017 um 01:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:15 Uhr
Georg Nopper

Die privaten Retter im Mittelmeer stecken in der Sackgasse. Viele von ihnen wollen das Risiko, das mit der Rettung von in Seenot geratenen Bootsflüchtlingen verbunden ist, nicht mehr eingehen.

Mindestens ein Rettungsschiff einer Nichtregierungsorganisation wurde letzte Woche von der libyschen Küstenwache mit Warnschüssen bedrängt. In der Folge setzten mehrere Hilfsorganisationen Rettungsaktionen im Mittelmeer aus.

So unterbrach etwa Ärzte ohne Grenzen (MSF) die Mission des Rettungsschiffs «Vos Prudence». Auch die Organisationen Sea Eye und Save the Children stellten ihre Aktionen zumindest vorübergehend ein.

Dieses Foto zeigt Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen bei einem Rettungseinsatz im Juni 2016.
Foto: Bram Janssen
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Alle Rettungsmassnahmen – auch jene der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex – werden von der zentralen Seenotrettungsleitstelle in Rom (MRCC) koordiniert. Laut MSF gab MRCC eine konkrete Warnung heraus.

Neue Zuständigkeiten der libyschen Küstenwache

Die libysche Küstenwache wird von der EU ausgebildet, ausgerüstet und finanziell unterstützt. Libyen hat nun eine eigene Such- und Rettungsaktion ins Leben gerufen, die weit über die libyschen Hoheitsgewässer hinausreicht. Den Hilfsorganisationen wurde untersagt, diese Zone zu befahren.

Italien ist mit dem Flüchtlingszustrom überfordert und sieht sich von den anderen EU-Mitgliedsstaaten im Stich gelassen. Der italienische Aussenminister Angelino Alfano klagt, das EU-Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge funktioniere nicht. «Es fehlt an einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik, die sich der Ankünfte aus Afrika annimmt», sagt er zur deutschen Zeitung «Bild». Italien könne diese Last nicht alleine verkraften.

Weniger Ankommende in Italien

Die neuerdings zwischen Rom, Tripolis und Brüssel abgestimmte Strategie zur Schliessung der Mittelmeer-Route allerdings scheint aufzugehen. Zumindest, was die Anzahl an Flüchtlingen anbelangt, die Italien erreichen. In den ersten zwei Augustwochen waren es erst etwa 1700. Im Juli waren es noch 11'459 gewesen.

935 Flüchtlinge werden im Juli 2017 im italienischen Salerno von Ärzte ohne Grenzen an Land gebracht.
Foto: Michele Amoruso / IPA

Doch was passiert mit den Flüchtlingen, die es bisher nicht nach Italien schafften? Ärzte ohne Grenzen warnt, dass die neue Situation auf dem Mittelmeer Menschenleben fordern wird. Die Organisation fordert die EU und Italien auf, von Strategien abzusehen, die «Menschen in einem Bürgerkriegsland einsperren, ohne deren Bedürfnisse nach Schutz und Unterstützung in Betracht zu ziehen».

Neuer Verhaltenskodex macht Rettungen schwieriger

Nicht nur die Warnschüsse der libyschen Küstenwache setzen die Hilfsorganisationen – von denen einige trotz der neuen Sicherheitslage weitermachen wollen – unter Druck. Auch die italienische Regierung und die EU machen ihnen mit einem neuen Verhaltenskodex für die nichtstaatliche Seenotrettung die Arbeit auf dem Mittelmeer schwer.

Dieser verlangt etwa, dass bewaffnete Polizisten auf den Rettungsschiffen mitfahren, was Ärzte ohne Grenzen strikt ablehnt. Zudem dürfen Gerettete nicht mehr an Bord anderer Schiffe gebracht werden, damit diese sie an Land bringen. Dies würde die Kapazität der Hilfsorganisationen, Menschenleben zu retten, massiv einschränken – weil ihre Schiffe so zu oft an Land fahren müssten anstatt sich im Einsatzgebiet zu bewegen. Ärzte ohne Grenzen hat den Kodex deshalb nicht unterschrieben.

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