Heftige Kritik an Studie
Deutscher Professor unterstützt Laborunfall-Theorie

Es ist die grosse Frage: Wo hat das Coronavirus seinen Ursprung? Ein deutscher Wissenschaftler kommt in einer Arbeit zu dem Ergebnis, dass viele Indizien für einen Laborunfall in China sprächen. Das sorgt für Kopfschütteln – denn seine Quellen sind dürftig.
Publiziert: 19.02.2021 um 12:05 Uhr
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Aktualisiert: 04.03.2021 um 18:26 Uhr
Auf chinesischen Tiermärkten werden Fische verkauft, aber auch exotischere Tiere wie Fledermäuse. Von diesen könnte das Virus auf Menschen übergesprungen sein.
Foto: Getty Images
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Seit knapp einem Jahr beherrscht das Coronavirus unser Leben. Und noch immer ist nicht restlos klar, wie das Virus entstehen konnte. Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) reisten deswegen nach China in die Stadt Wuhan, um diese Frage zu beantworten. Dort tauchte das neuartige Virus zum ersten Mal auf. Lange stand der Huanan-Seafood-Markt im Verdacht. Diese These hat die WHO inzwischen verworfen. Experten gehen davon aus, dass das Virus aus anderen Regionen Chinas in die Metropole gebracht wurde – im Markt wurden nur die ersten Infektionen nachgewiesen.

WHO widerspricht Tiefkühlkost-Theorie

Man suche derzeit nach den Ursprüngen und glaube, Tiere wie Fledermäuse oder Pholidota seien die Überträger gewesen, sagt Liang Wennian, ein chinesischer Forscher, an der Pressekonferenz. Aber man könne fast komplett ausschliessen, dass ein Tiermarkt der Ursprung gewesen sei. Auch die von China immer wieder verbreitete These, dass das Virus 2019 womöglich über Tiefkühlkost aus dem Ausland eingeschleppt wurde, ist für die WHO-Experten nicht nachvollziehbar.

Eine ganz andere Theorie hat dagegen Roland Wiesendanger. Er ist Professor für Physik an der Uni Hamburg, hat sich aber trotzdem mit dem Ursprung von Corona beschäftigt. Er ist der Meinung, dass ein Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Auslöser gesehen werden kann. Dafür würden viele Hinweise sprechen, die der Wissenschaftler in einer Vor-Studie präsentiert.

Für die Untersuchung reiste Wiesendanger aber nicht nach China – sondern las viel im Internet. Zahlreiche Berichte, Artikel und sogar YouTube-Videos rund um das Thema Corona führt er als Quellen an. Ein ganzes Jahr lang.

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Weltweit grösste Sammlungen von Fledermauserregern

Beweise liefert die Studie nicht. Vielmehr ist die Untersuchung eine Art Sammlung an Hinweisen, die seine These stützen. Darunter zum Beispiel die Tatsache, dass bis heute kein Zwischenwirtstier identifiziert werden konnte. Das sei bei früheren Epidemien anders gewesen.

Zudem würde das jetzige Virus eine bestimmte Struktur aufweisen, die es erlaube, einfacher in menschliche Zellen einzudringen. Eine Eigenschaft, die bislang bei Coronaviren nicht so aufgetaucht sei. Und noch etwas sei für Wiesendanger auffällig. Auf dem Huanan-Seafood-Markt in Wuhan seien keine Fledermäuse angeboten worden. Tatsächlich würden aber im virologischen Institut eine der weltweit grössten Sammlungen von Fledermauserregern lagern.

Mit seiner Studie will Wiesendanger einen Teil dazu beitragen, dass sich eine solche Pandemie nicht wiederholt. «Seit Monaten steht verständlicherweise der Umgang mit und die Bewältigung von der Corona-Krise im Vordergrund der Themen in der Politik und in den Medien. Von grosser Bedeutung ist jedoch schon heute die kritische wissenschaftsbasierte Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Ursprung der derzeitigen Pandemie, denn nur auf Basis dieses Wissens können adäquate Vorkehrungen getroffen werden, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten ähnlicher Pandemien in Zukunft so klein wie möglich zu halten», sagt der Physiker.

«Die Arbeit ist eine Schande»

Die Hinweis-Sammlung sorgt in der Fachwelt für Wirbel. Besonders, weil die Arbeit als Studie präsentiert wird und fragwürdige Quellen aus dem Internet herangezogen wurden. «Wiesendangers Traktat ist dermassen unwissenschaftlich – selbst wenn seine Behauptungen grundsätzlich wahr wären, selbst wenn SARS-Cov2 wirklich aus dem Labor käme, wäre die ‹Studie› eine Schande. Das ist keine argumentierte These, das ist Internettext-Konfettiregen», lautet das Urteil von Physiker und Wissenschaftsjournalist Florian Aigner auf Twitter.

Mit dieser Meinung ist der Österreicher nicht alleine. Auch ein Professor der Universität Hamburg ist fassungslos. «Mir fehlen die Worte. Wie soll ich unseren Studierenden noch die Standards guter wissenschaftlicher Praxis vermitteln, wenn so was als Studie verkauft wird?», schreibt Wirtschafts-Professor Daniel Geiger.

Uni Hamburg wehrt sich

Die Universität Hamburg äussert sich zu den Kritikpunkten nicht. Wieso die Hochschule die Arbeit überhaupt veröffentlichte, erklärt Uni-Sprecherin Claudia Sewig dem «Hamburger Abendblatt» wie folgt: «Die Hochschulleitung und die Pressestelle der Universität Hamburg üben keine Zensur zu Forschungsgegenständen und -ergebnissen ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus. Diese sind vielmehr zur Publikation ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse verpflichtet.» Doch genau das ist der Punkt. Viele kritisieren an der Arbeit, dass sie eben nicht wissenschaftlich sei.

Die Uni hat die Vor-Studie über ihren offiziellen Twitter-Kanal verbreitet und erntet jetzt einen veritablen Shitstorm. Das Team der WHO kam übrigens bei den Untersuchungen vor Ort zum Schluss, dass ein Labor-Unfall «extrem unwahrscheinlich» sei. Trotzdem bleibt der Hamburger Physiker dabei. «Ich bin mir zu 99,9 Prozent sicher, dass das Coronavirus aus dem Labor kam», sagt der Forscher zum ZDF. (jmh)


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