So katastrophal ist die Situation in den Spitälern in Gaza
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Ohne Strom und Hoffnung:So katastrophal ist die Situation in den Spitälern in Gaza

Hamas nutzt Elend für sich, Israel steckt im Dilemma
Das zynische Spiel mit den Krankenhäusern in Gaza

Kein Strom, kein Wasser, kein Sauerstoff, dafür Dauerbeschuss. Die Lage in Gazas Spitälern ist verzweifelt. Babys und Intensivpatienten sterben, Verwundete werden ohne Narkose im Schein des Handys operiert. Das Elend gehört zur grausamen Kriegstaktik. Von beiden Seiten.
Publiziert: 13.11.2023 um 18:38 Uhr
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Aktualisiert: 13.11.2023 um 20:12 Uhr
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Die Bilder aus Gaza sind unerträglich: Auf den Spital-Fluren liegen Verletzte und Vertriebene. Viele Kinder und Frauen. Versorgt werden sie nicht. Chirurgen operieren im Schein von Smartphones. Ohne Narkose. Sie desinfizieren die Wunden mit Essig. Frühchen liegen eng beieinander auf einem Krankenbett. Ihre Brutkästen sind kalt. 

Es fehlt an Sauerstoff, an Wasser, an Medikamenten. Auch das Telefon-Netz funktioniert nicht mehr. Die Weltgesundheitsorganisation schreit auf. Im grössten Krankenhaus Gazas herrschten «entsetzliche Zustände», so die WHO auf der Plattform X. Seit Samstag, dem 11. November, sei das Al-Shifa-Spital nicht mehr funktionsfähig. Es ist das Einzige in Gaza, das eine Kinderabteilung hat.

Mindestens 2300 Menschen befinden sich im Klinik-Komplex, darunter 600 Patienten und 1500 Vertriebene. Die Zahlen kommen vom palästinensischen Gesundheitsministerium. Auch die der jüngsten Opfer: Sieben der 36 Neugeborenen und 27 weitere Patienten seien wegen der Mangellage verstorben. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Die Uno fügt noch eine Zahl hinzu: Drei Krankenschwestern seien ausserhalb der Klinik im israelischen Beschuss getötet worden. 

Ein Bild der Verwüstung rund um das Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt. Das Krankenhaus hat keinen Strom mehr, wartet darauf, dass es seine Patienten evakuieren kann. Bislang gelang die Flucht aus dem Spital erst Hundert Menschen in Behandlung.
Foto: keystone-sda.ch
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Auch das zweitgrösste Spital in Gaza hängt am Schlauch

Alle Spitäler im Norden Gazas seien wegen der andauernden Gefechte ausser Betrieb, erklärt der Vize-Gesundheitsminister der radikalislamischen Hamas, Jussef Abu Risch, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Auch Gazas zweitgrösstes Spital, das Al-Kuds, befinde sich in einer prekären Lage. «Das Krankenhaus ist seit einer Woche von der Aussenwelt abgeschnitten», sagt Tommaso Della Longa, Sprecher vom Internationalen Roten Kreuz zu BBC-News. 

Gazas Spitäler werden nicht zufällig in Kampfhandlungen hineingezogen. Sie sind Teil des Schlachtfeldes, der psychologischen Kriegsführung, aber auch Ziel militärischer Operationen. Das Narrativ der Terrororganisation zeigt sich im Netz: Israel ist schuld am Elend, hat mit der vollständigen Blockade des Gazastreifens das Volk ausgehungert, verübt durch Raketenhagel einen Genozid an den Palästinensern – macht selbst vor Spitälern nicht halt. 

Israel hat Tunnel-Labyrinthe unter den Spitälern im Visier

Und so wirken die Hiobsbotschaften und Schockfotos wie Geschosse ins Gewissen der Weltöffentlichkeit. Ob Tausende in weltweiten Massendemos, Regierungen des Westens, ob Uno, WHO oder die arabische Welt – alle rufen nach humanitären Feuerpausen oder gar nach einem Waffenstillstand. Die Kritik an Israels Bodenoffensive wird lauter.

Richtig ist: Israel hat die Krankenhäuser und deren Umfeld wirklich im Visier. Man wolle aber nicht Patienten, Flüchtlinge oder Spitalpersonal angreifen, sondern die Hamas zerschlagen, versicherte Premier Benjamin Netanyahu am Sonntag: «Wir werden so schnell, aber auch so vorsichtig wie möglich vorgehen, weil wir die Zahl der zivilen Opfer und eigenen Opfer so gering wie möglich halten wollen.» Man habe dem Al-Shifa-Spital Treibstoff angeboten, 300 Liter in etwa 300 Metern Distanz abgestellt. Die Kanister seien nie geholt worden. 

Die israelische Armee ist sicher: Unter den Spitälern verschanzen sich Terroristen und halten womöglich auch israelische Geiseln fest. Sie würden die Menschen in den Krankenhäusern als Schutzschilder missbrauchen, so das Argument aus Tel Aviv.

Waffenpause diene der Hamas, sagt Israel

In der «New York Times» berichteten acht anonyme israelische Geheimdienstmitarbeiter von einer Kommandozentrale, die die Hamas in den vergangenen 16 Jahren unter dem Al-Shifa-Spital aufgebaut habe. Es handele sich um ein unterirdisches Labyrinth auf verschiedenen Stockwerken mit Wohnquartieren und Lagerhallen, die vom Strom des Spitals versorgt würden. Darin hätten Hunderte von Kämpfern Platz, so die Informanten weiter. Vorgelegte Fotos zeigen angeblich Tunnelzugänge direkt vom Spital. 

Eine Waffenpause würde den Terroristen in die Hände spielen, das Leben der Geiseln und einen Sieg über die Hamas gefährden, argumentiert Israel. Seit 38 Tagen, seit dem Massaker an 1200 Israelis am 7. Oktober 2023, machen die Streitkräfte Jagd auf die Hamas. Laut offiziellen Angaben des Militärs hätten 4300 Raketenangriffe Hunderte von Hamasstellungen zerstört und Tausende von Kämpfern getötet, die Truppen die Kontrolle über den Norden Gaza erlangt. Der Blutzoll ist jedoch enorm hoch: Während des Krieges seien über 11'000 Menschen gestorben, 4000 davon Kinder, meldet die palästinensische Gesundheitsbehörde.

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