Streit um Brexit-Deal
Theresa Mays Zukunft scheint ungewiss

London/Brüssel – Die britische Premierministerin Theresa May muss im Streit um das Brexit-Abkommen mit einem Misstrauensantrag in ihrer Fraktion rechnen. Eine Gruppe von Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei um den exzentrischen Jacob Rees-Mogg hatte dazu aufgerufen.
Publiziert: 19.11.2018 um 07:34 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2018 um 07:25 Uhr

Ob und wann die dafür notwendige Zahl von 48 entsprechenden Briefen von Tory-Abgeordneten erreicht wird, ist aber derzeit noch unklar. Beobachtern zufolge könnte die Abstimmung bereits am Dienstag stattfinden. Andere Sachverständige zweifelten allerdings daran, dass es überhaupt so weit kommt. Laut dem Vorsitzenden eines einflussreichen Komitees, der die Anträge entgegennimmt, ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass May eine solche Abstimmung gewinnen würde.

May sieht in Misstrauensvotum keine Lösung

May hatte am Sonntag vor einem Putsch gewarnt. Ein Führungswechsel würde die Verhandlungen mit Brüssel nicht einfacher machen und auch die Mehrheitsverhältnisse im britischen Parlament nicht verändern. «Die nächsten sieben Tage sind entscheidend», sagte May dem Sender Sky News.

Doch ein Misstrauensantrag ist nicht Mays einzige Sorge. Mehrere Minister drohen indirekt mit Rücktritt, sollte die Regierungschefin beim Brexit-Abkommen nicht nachverhandeln. Eine Gruppe innerhalb des Kabinetts um Andrea Leadsom, die eine Art Fraktionschefin der Konservativen ist, fordert Nachbesserungen am Backstop. Die Gruppe wollte Berichten zufolge Montagfrüh ihr weiteres Vorgehen abstimmen.

Der britischen Premierministerin Theresa May steht eine Woche wichtiger Entscheide um das Brexit-Abkommen mit der EU bevor. (Archivbild)
Foto: KEYSTONE/EPA/WILL OLIVER

Mit Backstop werden die Bestimmungen im Austrittsabkommen bezeichnet, die garantieren sollen, dass es nach dem Brexit keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland geben soll. Der Entwurf sieht vor, dass Grossbritannien für diesen Fall als Ganzes in der EU-Zollunion bleibt, bis beide Seiten entscheiden, dass dies nicht mehr notwendig ist. Doch die Brexit-Hardliner fordern ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop, damit London eigene Handelsabkommen etwa mit den USA schliessen kann.

Der vergangene Woche zurückgetretene Brexit-Minister Dominic Raab brachte sich am Wochenende als möglicher Nachfolger Mays ins Spiel. In einem Interview der «Sunday Times» warf er May schwache Verhandlungsführung vor. Sie habe der EU nicht glaubwürdig damit gedroht, notfalls ohne Abkommen auszuscheiden. Als weitere Kandidaten gelten etwa Ex-Aussenminister Boris Johnson und Raabs Vorgänger im Amt des Brexit-Ministers, David Davis.

Neuer Brexit-Sondergipfel

Grossbritannien scheidet nach derzeitigem Stand der Dinge am 29. März 2019 aus der EU aus. Sollte bis dahin kein Abkommen unter Dach und Fach sein, drohen schwere wirtschaftliche Konsequenzen und Chaos in vielen Lebensbereichen.

Am kommenden Sonntag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Sondergipfel in Brüssel über den Entwurf entscheiden. Vorher will sich May noch einmal mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker treffen. Von Seiten der Europäischen Union gebe es kein Interesse, den Austrittsvertrag noch einmal aufzumachen, hiess es am Sonntagnachmittag nach einem Treffen der Botschafter der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten in Brüssel.

Verhandlungsspielraum gibt es nach Angaben von Diplomaten lediglich bei der politischen Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Grossbritannien. Sie soll ebenfalls am kommenden Sonntag beschlossen werden. Unter anderem deshalb treffen sich am heutigen Montag die Aussenminister der EU-Staaten in Brüssel. Zudem dürfte es zumindest am Rande um die schwierige Situation Mays und mögliche Schlussfolgerungen daraus gehen.

Unterstützung für zweites Referendum

Unklar ist, wie es nach einer möglichen Einigung zwischen May und der EU weiterginge. May müsste diese dann nämlich noch durchs Parlament bekommen. Die nordirische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängig ist, will den Deal jedoch nicht mittragen. Auch der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, bekräftigte am Sonntag, dass seine Partei gegen das Abkommen stimmen werde. Als Mays einzige Chance gilt daher, Abweichler aus der Labour-Fraktion hinter sich zu bringen. Sollte sie scheitern, gilt selbst ein zweites Brexit-Referendum für möglich.

Für eine zweite Volksabstimmung spricht sich unter anderen der britische Ex-Premier Tony Blair aus, der den von May mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal ablehnt. «Obwohl der Deal dazu führen sollte, alle zufrieden zu stellen, gefällt er praktisch niemandem», schrieb Blair in einem Gastbeitrag für die «Rheinische Post» vom Montag. Aus seiner Sicht gibt der Deal das Mitspracherecht Grossbritanniens bei EU-Regeln preis, während sich das Land treu an die Regeln halte. «Es gibt jetzt mehr Unterstützung für ein neues Referendum als für jede andere Alternative», meint Blair. (SDA)

Das steht im Brexit-Entwurf

Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:

Übergangsphase

Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.

EU-Bürger

Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.

Finanzverpflichtungen

Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen. 

Nordirland

Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.

Künftige Beziehungen

Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.

Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:

Übergangsphase

Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.

EU-Bürger

Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.

Finanzverpflichtungen

Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen. 

Nordirland

Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.

Künftige Beziehungen

Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.

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Der Brexit-Fahrplan - so geht es weiter
  • 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
  • 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
  • 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
  • Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
  • Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.
  • 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
  • 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
  • 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
  • Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
  • Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.
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