Anhänger von Jair Bolsonaro stürmen Nationalkongress
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Wütende Menge in Brasilien:Hier stürmen Bolsonaro-Anhänger den Nationalkongress

Sind auch in Regierungssitz und Oberstes Gericht eingedrungen
Bolsonaro-Anhänger in Brasilien stürmen Brasiliens Kongressgelände

Tumulte auf dem Gelände des brasilianischen Nationalkongresses. Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaro (67) drangen in das Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasília ein. Inzwischen haben Sicherheitskräfte die Kontrolle wieder erlangt.
Publiziert: 08.01.2023 um 20:12 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 10:18 Uhr

Eine Woche nach dem Ende der Amtszeit des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (67) haben radikale Anhänger des rechten Ex-Militärs das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt. Sie drangen am Sonntag in den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto ein, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Die Polizei setzte Pfefferspray, Tränengas und Blendgranaten ein.

Nach mehreren Stunden brachten Sicherheitskräfte die Gebäude laut Medienberichten wieder unter Kontrolle. Spezialkräften der Militärpolizei und der Präsidentengarde gelang es, die Gebäude zu räumen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Agência Brasil berichtete. Die Demonstranten sammelten sich daraufhin auf Parkplätzen und dem Rasen vor dem Nationalkongress. Laut den Behörden wurden mehr als 200 Personen festgenommen. Im Fernsehen war zu sehen, wie Polizisten Dutzende Männer und Frauen mit auf den Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (77), der sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in der Hauptstadt aufhielt, verurteilte die Ausschreitungen scharf und ordnete an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt. Der Sicherheitschef der Stadt, Anderson Torres, ehemals Justizminister unter Bolsonaro, wurde entlassen. Bolsonaros Partei distanzierte sich von den Geschehnissen.

Am Sonntag kam es in Brasiliens Hauptstadt Brasília zu schweren Zusammenstössen.
Foto: KEYSTONE
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Bolsonaro missbilligt Erstürmung von Regierungsgebäuden

Der ehemalige Präsident Bolsonaro verurteilte den Angriff seiner radikalen Anhänger auf das Regierungsviertel in Brasília. «Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter», schrieb der rechte Ex-Staatschef auf Twitter. «Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt.»

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Zerstörungswut

Die Demonstranten hatten die Scheiben der Fassade des Kongressgebäudes eingeschlagen und drangen in die Eingangshalle vor. Auf Videos war zu sehen, wie Menschen im Plenarsaal des Senats auf Tische und Bänke kletterten. Zuvor waren bereits Hunderte Demonstranten auf das Gelände des Parlaments vorgedrungen und auf das Dach des Gebäudes gelangt.

Nach dem Angriff auf den Kongress zogen Bolsonaro-Anhänger auch zum Obersten Gerichtshof. Sie hätten dort Scheiben eingeworfen und seien in die Lobby vorgedrungen, berichtete das Nachrichtenportal G1. Die Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den rechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützern deshalb verachtet. Später zog die Menge auch zum Regierungssitz Palácio do Planalto. Männer mit Brasilienflaggen liefen durch Flure und Büros, wie im Fernsehsender TV Globo zu sehen war.

Die Militärpolizei setzte gepanzerte Fahrzeuge ein, über dem Regierungsviertel kreisten Hubschrauber. Im Fernsehen war zu sehen, wie Bolsonaro-Anhänger einen berittenen Polizisten von seinem Pferd zogen und auf ihn einschlugen.

Lula kündigt harte Strafen an


Präsident Lula kündigte harte Strafen an. «Alle Vandalen werden gefunden und bestraft», sagte der Staatschef. «Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.» Er befand sich zu dem Zeitpunkt in der Stadt Araraquara im Bundesstaat São Paulo, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren.

Später besuchte Lula seinen beschädigten Amtssitz. Dabei inspizierte der 77-Jährige auch die Schäden im Palácio do Planalto. Was die Angreifer «heute getan haben, ist beispiellos in der Geschichte des Landes», sagte er. «Das war Barbarei. Das waren Faschisten.»

Sicherheitschef Torres wurde umgehend abgelöst. «Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Strasse geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen», schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha (51), auf Twitter. «Ich bin in Brasília, um die Demonstrationen zu beobachten und alle Massnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen im Regierungsviertel einzudämmen.»

Szenen erinnern an US-Kapitol


«Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen», schrieb Senatspräsident Rodrigo Pacheco (46) auf Twitter. «Ich habe mit dem Gouverneur des Bundesdistrikts, Ibaneis Rocha, telefoniert, mit dem ich in ständigem Kontakt stehe. Der Gouverneur teilte mir mit, dass der gesamte Polizeiapparat sich darauf konzentriert, die Situation unter Kontrolle zu bringen.»

Die Szenen erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Januar 2021. Damals hatten Anhänger von Donald Trump (76) das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.

US-Präsident Joe Biden (80) nannte die Vorfälle am Sonntag bei einem Besuch im Bundesstaat Texas nach Angaben seiner Sprecherin «ungeheuerlich». «Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich», erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan.

Mit Joaquin Castro forderte ein Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses die Ausweisung von Jair Bolsonaro, der sich zurzeit in Florida aufhält. «Die Vereinigten Staaten sollten kein Zufluchtsort für diesen autoritären Mann sein, der den Terrorismus in Brasilien inspiriert hat», sagte der Demokrat.

Bolsonaro habe «das Trump-Drehbuch benutzt, um einheimische Terroristen zu inspirieren und zu versuchen, die Regierung zu übernehmen», sagte Castro am Sonntag bei CNN im TV. Er verwies auf die politische Freundschaft zwischen den beiden ehemaligen Präsidenten. Bolsonaro sei «ein gefährlicher Mann».

Castros Fraktionskollegin Alexandra Ocasio-Cortez schloss sich der Forderung an. Die USA müssten aufhören, Bolsonaro in Florida Zuflucht zu gewähren, schrieb sie auf Twitter. Die Vereinigten Staaten müssten sich «mit der demokratisch gewählten Regierung Lula solidarisch zeigen».

Auch Bolsonaros Partei verurteilt Angriffe

Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in Brasília. «Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im Nationalkongress», schrieb Gleisi Hoffmann (57) auf Twitter. «Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert.»

Auch Bolsonaros Partei verurteilte die Angriffe. «Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein», sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberalen Partei (PL), Valdemar Costa Neto (73), in einem Video. «Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten aufs Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken.»

Der rechte Präsident Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut. Beweise dafür legte er allerdings nie vor. Auch nach der Abstimmung erkannte er seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhänger blockierten immer wieder Landstrassen, kampierten vor Kasernen und forderten eine Militärintervention zugunsten des abgewählten Staatschefs. (SDA/ced/kes)

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