Das Leiden der Ukraine in Bildern
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Gefährliches Gerede
Das sind die grössten Irrtümer über den Ukraine-Krieg

Der russische Krieg gegen die Ukraine ist eine glasklare Sache. Wer die Debatte mit den falschen Argumenten trübt, macht sich mitschuldig an einem der grössten Verbrechen in Europas Geschichte. Eine Analyse.
Publiziert: 23.02.2023 um 23:54 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2023 um 10:52 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Nur selten in der Geschichte hat sich das Böse so deutlich gezeigt wie beim Angriff auf die Ukraine vor einem Jahr. Grundlos und menschenverachtend ist Russlands Krieg gegen den friedlichen Nachbarn. Verlogen ist Wladimir Putins (70) Begründung, mit der er Hunderttausenden einen qualvollen Tod beschert.

Doch so glasklar die Sache auch ist: Wahrheitsverdreher gewinnen in den Diskussionen über den Krieg an Zuspruch – auch hier in der Schweiz. Ihre Aussagen sind Sand ins Getriebe der internationalen Unterstützung für die Ukraine, ohne die Putin seine brutalen Visionen längst hätte verwirklichen können. Die fünf grössten Irrtümer – und weshalb sie so gefährlich sind:

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Die Ukraine muss jetzt mit Russland verhandeln

Warum sollte sie? Kaum ein Krieg endet durch Verhandlungen. Man stelle sich vor, die Alliierten hätten 1944 Verhandlungen mit Nazi-Deutschland aufgenommen (eine Hoffnung, die die Nazi-Eliten durchaus hatten), statt Hitlers Schergen zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen. Europa wäre heute ein anderes, ein deutlich schlechteres. Verhandlungen machen erst dann Sinn, wenn mindestens eine der Kriegsparteien ihre militärischen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Bis dahin hat die Ukraine jedes erdenkliche Recht, ihre Position durch militärische Siege gegen die Russen zu verbessern.

Viele Soldaten und Zivilisten liessen ihr Leben im Krieg.
Foto: AP
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Waffenlieferungen an Kiew verlängern den Krieg unnötig und verursachen nur noch mehr Leid

Praktisch jedes westliche Land – ausser die Schweiz – hat der Ukraine seit Ausbruch des Krieges Waffen geliefert. Ohne diesen stählernen Nachschub hätte die Ukraine den militärisch übermächtigen Gegner niemals so lange in Schach halten, geschweige denn verlorene Gebiete zurückerobern können. Versiegt diese militärische Unterstützung, wird Putin das Land im Nu einnehmen. Welches menschliche Leid seine Truppen wehrlosen Zivilisten anzutun bereit sind, zeigen die Massaker von Butscha, Irpin oder Izjum. Wer menschliches Leid verhindern will, muss der Ukraine zum Sieg über den unmenschlichen Angreifer verhelfen.

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Krim und Donbass gehören ja sowieso zu Russland

Nein, das tun sie nicht. Nikita Chruschtschow (1894–1971) hatte die Halbinsel mit der kriegerischen Geschichte schon 1954 der Ukrainischen Sozialistischen Republik angegliedert. Im Budapester Memorandum von 1994 haben die Russen die «territoriale Integrität» und die «Unverletzlichkeit der Grenzen» der Ukraine inklusive Krim und Donbass erneut anerkannt. Das Referendum, das die Russen nach der illegalen Besetzung der Krim 2014 durchführen liessen, ist genauso undemokratisch und wertlos wie die 2022 durchgeführten Referenden im Donbass. Verzichtete die Ukraine auf die Krim oder den Donbass, wäre das ein gefährliches Zugeständnis an Moskau. Putin würde für seinen Aggressionskrieg belohnt. Der russische Bärenhunger nach neuen Gebieten wäre kaum gestillt.

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Die USA sind nicht besser als Russland. Man denke nur an den Irak

Das aggressive Verhalten eines Akteurs mit dem aggressiven Verhalten eines anderen Akteurs zu rechtfertigen, ist wenig zielführend. Die englische Sprache kennt den Begriff «Whataboutism»: Auf alle Kritik stets mit «Und was ist denn mit X und Y?» zu reagieren, bringt die Welt nicht weiter. Ganz abgesehen davon, dass der territoriale Angriff einer Atommacht auf ein friedliches Nachbarland mitten in Europa ein bis vor kurzem unvorstellbares Verbrechen darstellt, das nach allen verfügbaren Massstäben weit schlimmer ist als das, was die Amerikaner sich zuschulden kommen liessen. Und was wir auch nicht vergessen dürfen: Es sind nach dem Zweiten Weltkrieg einmal mehr die Amerikaner, die unseren Kontinent vor dem Schlund der Tyrannei bewahren.

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Die Russen reagieren doch nur auf die aggressive Ausbreitung der Nato

Jede Nation hat das Recht, frei über ihre Bündniszugehörigkeit zu entscheiden. Auch die Ukraine. Moskau hat dies Kiew 1994 in den Budapester Verträgen zugesichert. Im Gegenzug hat die Ukraine ihr atomares Arsenal aufgegeben (sie war bis Mitte der 1990er-Jahre die drittgrösste Atommacht der Welt). Dass der Pseudo-Zar im Kreml seinen Nachbarn vorschreiben will, mit wem sie sich zusammenschliessen dürfen, ist seiner gefährlichen Grossmacht-Verblendung geschuldet. Man stelle sich einmal vor, die Ägypter, Griechen oder Römer würden den einstigen Provinzen ihrer verblassten Grossreiche solche Vorschriften machen wollen. Europa würde zum ewigen Schlachtfeld verkommen.

Der russische Krieg gegen die Ukraine bleibt eine glasklare Sache. Wer die Debatte mit den falschen Argumenten trübt, macht sich mitschuldig an einem der grössten Verbrechen in der Geschichte Europas.

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