Experte über den Vormarsch der Ultrarechten in den USA
«Der Süden hat Angst, erneut vom Norden vergewaltigt zu werden»

Der Aufmarsch der Rechtsradikalen in Charlottesville kommt für USA-Experte Detlef Junker nicht überraschend. Er sieht alte Wunden des Landes neu aufgerissen.
Publiziert: 14.08.2017 um 15:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:40 Uhr
Andrea Cattani

Die USA stehen nach den hässlichen Bildern von Charlottesville noch immer unter Schock. Eine tote Aktivistin und zwei tödlich verunglückte Polizisten – das ist die traurige Bilanz des Wochenendes. In der Studentenstadt im Osten des Landes ist ein Konflikt neu entflammt, der das Land seit seiner Gründung quält. Eskaliert ist die Situation wegen des Streits um den Abriss einer Statue des Südstaaten-Generals Robert Lee. Das sei kein Zufall, meint der profunde USA-Kenner Detlef Junker.

USA-Kenner Detlef Junker

«Der Süden hat Angst, ein weiteres Mal vom Norden vergewaltigt zu werden», sagt der Professor und Gründer des Heidelberg Center for American Studies. Die Szenen sind für ihn ein Ausdruck des Kulturkampfs, der im Süden der USA immer wieder auch offen ausgetragen werde. Dabei handle es sich um das historische Erbe des Amerikanischen Bürgerkriegs, der von 1861 bis 1865 in den USA wütete und einen tiefen Keil durch das Land trieb. Bis heute fühlen sich viele aus den Südstaaten Amerikas gedemütigt, abgehängt und übergangen.

BLICK erklärt in fünf Fragen und Antworten die kulturelle Spaltung der USA und wie es zum offenen Ausbruch der Gewalt kommen konnte:

Die heftigen Ausschreitungen von Charlottesville rücken einen alten Konflikt in den USA wieder in den Fokus.
Foto: Reuters
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1. Der Aufmarsch der rechten Gruppierungen in Charlottesville geschah unter dem Motto «Unite the Right». Ist die Bewegung am rechten Rand in den USA tatsächlich auf dem Vormarsch? 
Die Bewegungen am äussersten rechten Rand sind in den USA kein neues Phänomen. Bemerkenswert ist aber: Seit einiger Zeit findet eine zunehmende Vernetzung statt – besonders über das Internet. Eine grundlegende Gefahr für die amerikanische Gesellschaft sieht Junker in den Gruppierungen deshalb nicht. Aber: «Sie können die öffentliche Meinung weiter radikalisieren.»

Amok-Fahrer rast in Menschenmenge
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Bei Demonstration in Charlottesville (US):Amok-Fahrer rast in Menschenmenge

2. Was ist das Ziel der ultrarechten Bewegungen in den USA?
An Anlässen wie dem Aufmarsch in Charlottesville vermischen sich die Ideologien der einzelnen Gruppierungen jeweils stark. Erklärte Nationalisten, Patrioten und Regierungs-Kritiker gehen Seite an Seite mit Mitgliedern rassistischer und gewaltbereiter Organisationen. Ihre Forderungen sind aber oft dieselben: Sie wollen die multiethnische und multikulturelle Gesellschaft der USA zerstören und den Weissen die angeblich abhandengekommene Macht zurückgeben. «Sie sind Ausdruck der sich vertiefenden Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die sich schrittweise auf eine wirtschaftliche, kulturelle und geistige ‹Vor-Bürgerkriegssituation› hinbewegt», sagt Junker.

3. Warum eskalierte die Situation ausgerechnet in Charlottesville?
Das Entfernen von Statuen und Denkmälern früherer Südstaaten-Kämpfer ist – ebenso wie das Abhängen der Konföderierten-Flagge – für viele Amerikaner ein Angriff auf die eigene Geschichte. General Robert Lee gilt in einigen Kreisen noch immer als Legende und Teil der eigenen Identität. Während sich auf der einen Seite der rechte Mob mit Fahnen und Fackeln für den Erhalt des Denkmals einsetzte, stellten sich ihm bekannte Bürgerrechts-Aktivisten des Landes entgegen. Klarer als in Charlottesville konnten die Frontlinien nicht abgesteckt sein. 

In Charlottesville sind an diesem Wochenende Rechtsradikale aufmarschiert und mit Gegen-Demonstranten aneinander geraten.
Foto: Reuters / Joshua Roberts
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4. Welche Rolle spielt Trump in diesem Konflikt?
Für USA-Experte Junker ist der Fall klar: Die Ultra-Rechten sehen sich als Königsmacher von Trump. «Sie haben ihn unmissverständlich daran erinnert, dass sie ihn gewählt haben. Sie sind ein Teil seiner politischen Basis.» Trumps Zögern, die rechte Gewalt des Ku-Klux-Klans und der übrigen Neonazis eindeutig zu kritisieren, erklärt sich Junker mit dieser speziellen Verbandelung. Seit diesem Wochenende wird Trump sogar aus dem republikanischen Lager scharf attackiert, weil er sich zu wenig von den Rechtsextremen distanziere und ihnen so in die Karten spiele.

5. Muss man in Zukunft mit weiteren Aufmärschen der ultrarechten Bewegung in den USA rechnen?
Für Junker ist diese Frage klar mit Ja zu beantworten. Das historische Vermächtnis scheint im Land noch lange nicht genügend aufgearbeitet. Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit bleiben ein zentrales Problem der amerikanischen Gesellschaft. Hinzu kommt: Donald Trump ist bisher nicht ein Präsident, der das Land eint. Stattdessen verspüren die rechten Extremisten Aufwind und suchen offen den Konflikt. Die Eskalation von Charlottesville wird darum kein einmaliger Vorfall bleiben.

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